Desinformation auf TikTok

Hilfe gegen Desinformation auf TikTok – wie Jugendliche bei der Erkennung von Falschinformationen auf Videoplattformen unterstützt werden können.
“Ein Forschungsteam der Technischen Universität Darmstadt hat erstmals untersucht, wie man Jugendliche auf der Kurzvideoplattform TikTok bei der Erkennung von Desinformation unterstützen kann. Ergebnis: Die Jugendlichen akzeptieren Warnhinweise besonders gut, wenn diese nachvollziehbar begründet werden. Anzeichen für Desinformation auf einer Videoplattform lassen sich zum Beispiel in Kommentaren oder bei den Urheber-Informationen finden, und auch emotionalisierende Musik, Mimik und Gestik können ein Hinweis auf Desinformation sein.

Katrin Hartwig, Tom Biselli, Franziska Schneider, Christian Reuter (2024): From Adolescents‘ Eyes: Assessing an Indicator-Based Intervention to Combat Misinformation on TikTok. Proceedings of the 2024 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems .

Tiktok Radikalisierung

Die Bildungsstätte Anne Frank fasst in ihrem Report #Nahostkonflikt die Beobachtungen relevanter Plattformen aus den ersten drei Monaten nach dem Terroranschlag in einer ad-hoc-Analyse zusammen.
Deborah Schnabel, Eva Berendsen: Die TikTok-Intifada – Der 7. Oktober & die Folgen im Netz. Analyse & Empfehlungen der Bildungsstätte Anne Frank, Bildungsstätte Anne Frank 2024
Zunächst wird Tiktok als Massenmedium vorgestellt. Die antisemitische Radikalisierung auf Tiktok seit dem 7. Oktober wird beschrieben. Die Hermeneutik des aktuellen Antisemitismus – Mainstreaming, Manichäismus, Dehumanisierung, Progressivistische Maskerade wird analysiert.
Besonders wichtig ist dabei die soziologische Analyse der Dialektik von Herrschaft, Manipulation und Intimität:”Eine Generation junger Menschen, die sich ihr Weltbild aus Videoschnipseln und Fetzen von Demagogie zusammengesetzt hat, wird bald in die Gesellschaft nachrücken, Einfluss nehmen, durch Wahlen und Abstimmungen Entscheidungen treffen. Eine Welle, auf die die Gesellschaft schlichtweg nicht vorbereitet ist. Die schon geschilderte „Intimität” macht die Plattform dabei nahezu unangreifbar für Kritik. TikTok ist auf mehrere Weisen intim: Die For-you-Seite vermittelt das Gefühl, verstanden zu werden und unter einer großen Zahl von Gleichgesinnten zu sein, die die wahre Natur der Dinge durchschaut haben – im Gegensatz zu Lehrkräften, Eltern etc. Hier gibt das Medium allein schon technisch, durch seine Anschmiegsamkeit an jugendliche Cocooning-Bedürfnisse und noch unabhängig von allen Inhalten den Takt vor. Gleichzeitig ist das öffentliche Sprechen über die Plattform sozial noch stark tabuisiert. Wer etwas auf TikTok sagt, hat es nicht in der „wirklichen Welt” gesagt – zu der gelegentlich immerhin Twitter und YouTube schon gehören. Politiker*innen, Journalist*innen, aber auch Pädagog*innen bewerten Videos nicht, kritisieren nicht. So entziehen sich Influencer*innen der Öffentlichkeit, werden niemals mit den Konsequenzen ihrer Radikalisierungsnarrative konfrontiert. Der Gegenwind, den sie verspüren, ist auf die Plattform selbst begrenzt – und bleibt daher selbst intim. Während das Medium das Weltwissen einer ganzen Generation prägt, wird es öffentlich verhandelt wie ein beliebiges Handyspiel.”

Siehe dazu auch: Vera Schroeder: Warum radikalisieren sich junge Menschen über Tiktok so schnell?, Süddeutsche Zeitung 08.02.2024 (hinter der Bezahlschranke)

Manipulationstechniken der Memes

Das digitale Magazin Machine against the Rage hat in seiner Ausgabe Nr. 5 vom Winter 2024 die Manipulationstechniken der Memes untersucht. Lisa Bogerts, Pablo Jost: Against the Rage Five Shades of Hate: Gruppenbezogene Abwertung in Zeiten der Memifizierung
“Wie werden Memes für die Abwertung oder gar Entmenschlichung sozialer Gruppen genutzt? Im Kontext einer zunehmend bildbasierten Online-Kommunikation versprechen gerade Text-Bild-Kombinationen eine besondere Viralität für entsprechende Botschaften: Die aufmerksamkeitsfördernde visuelle Aufmachung kann sie nämlich über die übliche Reichweite hinaustragen. Auf Grundlage einer Zufallsstichprobe untersuchen wir daher erstmals auf einer breiten Datenbasis, wie diskriminierende Memes auf Telegram Anwendung durch rechtsextreme und verschwörungsideologische Akteure finden.”
Aus 8.5 Millionen Bildern in dem Zeitraum von Januar 2022 bis Juni 2023 wurde in einer mehrstufigen Filterung ein Sample von 40.728 Bildern zusammengestellt. Die einzelnen Kapitel: Von den Daten zur Analyse: Ein methodenübergreifender Ansatz; Memes, Masse, Abwertung: Ein quantitativer Überblick; Creators, Manipulators, Mulitpliers: Akteure hinter den Memes; Narrative der Abwertung: Wie (un)bewusst Misogynie verbreitet wird; Die Ambiguität der Ebenen: Elemente von (LGB)T-Feindlichkeit; Die Ästhetik der Abwertung: Rassismus in Memes; Die codierte Rhetorik des Antisemitismus. Schlussbetrachtungen: Die begrenze Viralität der Telegram Memes.

Soziale Medien werden fragmentierter

X (Twitter) bewegt sich durch Musks Politik hin zu einem kleineren Informationsraum. Unbewusst bewegen sich auch andere Plattformane wie Reddit oder Discord in die gleiche Richtung. Ethan Zuckerman: Social Media Is Getting Smaller—and More Treacherous. Fragmented and focused social platforms might be good for helping you find a knitting community. But extremist groups are also using them to normalize darker content. Wired 24.01.2024 analysiert, was dies für Folgen hat. In großen Informationsräumen erreichen Botschaften auch Neubekehrte und Influencer können Zielgruppen aufbauen. Es handelt sich aber nicht um konsensuale, sondern konfliktreiche Räume, in denen unterschiedliche Haltungen und Meinungen aufeinanderprallen. Kleinere Räume sind für homogene Interessengruppen wie z.B. Selbsthilfegruppen interessant. Aber diese Fragmentierung der öffentlichen Sphäre kann gravierende Folgen haben. “These conversations, insulated from outside scrutiny, can normalize extreme points of view and lead people deeper into dark topics they expressed a passing interest in.”

Soziale Medien verändern Gehirn

Der transdisziplinäre Rat für Digitale Ökologie (rdö) hat ein Positionspapier “Social Media als Verhaltenssucht” erstellt. Der Inhalt:
“Social-Media-Plattformen manipulieren gezielt unser Dopaminsystem. Sie machen sich die Mechanismen des menschlichen Lernens zu Nutze. Das ergeben neueste neurologische Forschungen. Schon seit über hundert Jahren sind Werbeindustrie und Verhaltenswissenschaft miteinander verschränkt. Durch das Internet und seine Datenmengen ist dieses Zusammenspiel um ein Vielfaches wirkmächtiger geworden.
In unserem Positionspapier zeichnen wir nach, was das Scrollen neurologisch im Gehirn auslöst und wie Tiktok, Linkedin, Instagram & Co. eine Wirkmacht entfalten, die die Nutzung von Social Media zu einer nicht enden wollenden Gewohnheit machen. Der Schritt zur Social-Media-Sucht ist dann nicht mehr groß.
Das Papier behandelt:
– Wie lernen Menschen? Und welche Rolle spielt dabei Dopamin?
– Welche Design-Elemente manipulieren unser Nutzungsverhalten? („Persuasive Design“)
– Welche Rolle spielen die Algorithmen, die uns Inhalte empfehlen?
– Warum ist es wichtig, dass Social-Media-Sucht offiziell als Sucht anerkannt wird?
– Wie müssen Social-Media-Plattformen reguliert werden, um die Suchtgefahr einzudämmen?
– Welche weiteren Maßnahmen kann die Politik ergreifen?”

Kai Wiedermann: Instagram, Tiktok & Co.: Forscherin warnt vor Schäden. Berliner Morgenpost 12.12.2023

Farangies Ghafoor: Hirnforscherin über soziale Medien: „Das größte Experiment der Menschheitsgeschichte“. Bei Menschen, die intensiv soziale Medien nutzen, könnte sich das Gehirn verändern – ähnlich wie bei ADHS, sagt Frederike Petzschner. Welche Folgen das für uns hat und wie Tiktok das für sich nutzt, Tagesspiegel 12.01.2024 Im Gespräch (hinter der Bezahlschranke)
“Die Idee eines sozialen Netzwerkes ist nicht falsch, sie ist sogar gut. Die Frage ist, ob das soziale Netzwerk einen Algorithmus haben sollte, der dazu führt, dass man es möglichst lange benutzt.”

Anonymität und moralische Scheinwelt

Andre Kieserling: Moralische Scheinwelt. Wie die Anonymität im Netz zur Eskalation der Debatten führt, Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.12.2023 (hinter der Bezahlschranke) wendet die Erkenntnisse zweier amerikanischer Moralphilosophen über “Grandstanding, Gebrauch und Missbrauch moralischer Gespräche”, auf die sozialen Medien des Internet an. “Ihre Hauptthese lautet, dass die Eiferer die Achtung der Gleichgesinnten zu gewinnen suchen, dies aber unter extrem ungünstigen Bedingungen tun müssen.” Man kann die eigene moralisch wertvolle Handlung, die zeigt, wie gut man ist, nicht einfach behaupten. Dies würde zu Misstrauen und Ablehnung führen. “Dann bleibt als Mittel vorteilhafter Selbstdarstellung nur das Urteil über die Handlungen anderer.” Neuerer und Dissidenten gehen dabei Risiken und Nachteile ein, es sei denn, sie handeln anonym. Aber Anonymität oder auch das Schwimmen im Mainstream führen nicht zu der gewünschten Anerkennung. Abhilfe kann zum einen die Erfindung eines Meinungsklimas aus lauter Denkverboten sein, gegen das man sich “mutig” stemmt. Zum anderen kann man sich unter Gleichgesinnten im Mainstream durch noch stärkere Formulierungen, Vorwürfe und Sanktionen profilieren. “Am Ende werden dann Mikro-Aggressionen erfunden, unter denen niemand im Ernst leidet, die anzuprangern aber ein Höchstmaß an moralischen Feingefühlt bezeugt.”

Tosi, Justin & Warmke, Brandon (2020). Grandstanding: The Use and Abuse of Moral Talk. New York: Oxford University Press. Edited by Brandon Warmke.
Brandon Warmke: Moral Grandstanding: Why Status-Seeking Destroys Public Discourse Youtube 24.01.2023

Social Media Verschwörungen

Ben Schwan: In welchen Stufen sich Verschwörungen auf Social Media verbreiten. Ein Forscherteam hat die Radikalisierung auf Facebook und Co. untersucht. Ganz verloren seien die sozialen Medien aber noch nicht. In welchen Stufen sich Verschwörungen auf Social Media verbreiten, in: MIT Technology Review/ Heise 21.08.2023 gibt die Ergebnisse einer Studie von Christine Abdalla Mikhaeil, Richard L. Baskerville: Explaining online conspiracy theory radicalization: A second-order affordance for identity-driven escalation, in: Information Systems Journal 15.01.2023 wieder. Es werden vier Stufen der Radikalisierung unterschieden: Bestätigung, Affirmation, Informationsumgebung steuern, Inszenierung der Identität. “Im letzten Schritt kommt es auch zur Sichtbarmachung gegenüber anderen und der Rekrutierung von Anhängern.” Die Autoren schreiben in ihrem Abstract: “This study advances a second-order affordance for identity-driven escalation that explains the process of conspiracy theory radicalization within online communities. We offer a theoretical account of the way social media platforms contribute to escalating commitment to conspiracy radicalization. We show how the sequential and combined actualization of first-order affordances of the technology enables a second-order affordance for escalation.”

Reddit – Protest und Daten

Alexander Wulfers: Die letzte Kommune des Internets, Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.06.2023 (hinter der Bezahlschranke) bechreibt die Transformation der Online Plattform Reddit. “Keiner anderen Plattform gelingt es so gut wie Reddit, die Anarchie des Internets in produktive Bahnen zu lenken.” Der Autor führt dies vor allem auf die Moderationen der Unterforen, den Subreddits, zurück, die “die unterschiedlichen Bedürfnisse der Benutzer gleichzeitig stillt, ohne dass sich diese in die Quere kommen.” Die Inhalte der Reddit-Foren lassen sich auch durch eine Google Suche mit dem zusätzlichen Suchelement Reddit aufspüren. Das Managment plant nun den Börsengang und will für den bislang kostenlosen Zugang auf die Datenschnittstelle Geld verlangen. Dies soll einerseits der Nutzung der Daten durch KI-Sprachmodelle eingrenzen, andererseits die Optimierung mittels Werbung durch eigene Apps optimieren. Die Moderatoren haben in einem Nutzerstreik gegen die geplanten Maßnahmen zeitweise ihre Subreddits gesperrt und drohen damit, ihre Mitarbeit einzustellen. “Für die Reddit-Community geht es aber um die Frage, wem die Daten gehören, die sie genieren.”

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