Bundesgesetzblatt als Open Source

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Christian Endt: Aktivisten stellen alle Bundesgesetzblätter ins Netz, Süddeutsche Zeitung 10.12.2018

Jedes Gesetz enthält eine zweifache Fiktion. Einmal entwirft es einen denkbaren Zustand, der sprachlich benannt, aber erst durch die Androhung und den realen Vollzug von Sanktionen durchgesetzt werden muss. Zum anderen enthält die Verkündung des Gesetzes die Fiktion, dass damit das Gesetz dem Bürger schon bekannt geworden ist. Diese Fiktion wird juristisch aber “unwiderlegliche Vermutung” genannt und statt der tatsächlichen Kenntnisnahme reicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme aus. Ansonsten könnte Recht als selbstreferentielles System gar nicht funktionieren. Es ist die Grundlage der Geltung des Gesetzes, an das sich der Bürger im Anschluss an die Verkündung zu halten hat.

Umso absurder ist es, wenn man die Verkündungsblätter – wie beim Bundesgesetzblatt und auch bei einigen Gesetz- und Verordnungsblättern der Länder geschehen – hinter einer Bezahlschranke versteckt. Dabei heißt “verstecken” auch, wenn man lediglich eine “Nur-Lese-Version” anbietet, die nicht ausgedruckt werden kann. Man könnte sogar die Frage stellen, ob damit eine ordnungsgemäße Verkündung erfolgt ist.

Dabei hat das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) dem Rechnung getragen:

“§ 5 Amtliche Werke: (1) Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtlich verfaßte Leitsätze zu Entscheidungen genießen keinen urheberrechtlichen Schutz.”
Der Bundesanzeiger-Verlag stellt sich allerdings auf den Standpunkt, dass seine publizierten Gesetze, also pdf-Dateien, deren Inhalte staatlich zugeliefert werden, Datenbankschutz genießen. Diese absurde Behauptung enthält aber das Drohpotential eines möglichen und ungewissen Gerichtsverfahrens, das viele Verwaltungsjuristen im Gedanken an eine reibungslose Karriere vermeiden möchten.
Dem Informationsspezialisten war jedoch seit jeher klar, dass zu einem parlamentarischen oder juristischen Informationssystem auch der freie Zugang sowohl zu Verkündungsblättern als auch den konsolidierten Gesetzen gehört. Daher hat die EU schon seit geraumer Zeit alle öffentlichen Rechtsdokumente frei und elektronisch zugänglich gemacht. Aber auch der Parlamentsspiegel, ein Dokumentationssystem, das die parlamentarischen Initiativen der Länder – abgesehen von den dortigen Parlamentsdatenbanken – übergreifend zur Verfügung stellen wollte, scannte das Bundesgesetzblatt und die Verkündungsblätter der Länder ein und hielt sie online vor. 2014 wurde dieses Angebot allerdings eingestellt. Nicht der Informationsspezialist, sondern der Verwaltungsjurist als Bedenkenträger hat die Information für den Bürger abgeschnitten.
Die Firma Makrolog hat mit ihrem Service Recht für Deutschland ein kommerzielles Produkt erstellt – ebenfalls im Einklang mit dem Urheberrechtsgesetz durch eigene Digitalisierung der Verkündungsblätter.
Jetzt bietet die Open Knowledge Foundation Deutschland mit OffeneGesetze.de alle Ausgaben des Bundesgesetzblattes frei zugänglich an. Eine Volltextsuche ergänzt die Anzeige nach Jahrgängen und Nummern. Diese dankenswerte private Initiative zeigt auf, wie jämmerlich es in Sachen Digitalisierung mit staatlicher Initiative immer noch bestellt ist. Digitalisierung fängt nicht erst mit Künstlicher Intelligenz an. Auch in Sachen konsolidiertes Recht zeigt die private Seite www.buzer.de, wie komfortabel, aktuell und frei zugänglich man Rechtsinformation präsentieren kann: Gesetzestext, frühere Fassungen mit der Möglichkeit, Synopsen zu erstellen, Verweis auf die amtliche Begründung, Zitierung in Vorschriften, aktuelle Änderungen, anstehende Änderungen, Suche nach Vorschriften, Gesetz und Volltext, Aktualisierung mit Web-Widget, Feed, Mail – besser kann man es nicht machen. Demgegenüber fallen die  Gesetze im Internet des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die selbst auch dort nicht die amtliche Fassung sind,  und auch dejure.org  deutlich ab.
Was die amtliche Fassung betrifft, kann das “Gesetz zur Ergänzung des Artikel 120 und zur Änderung des Artikel 121 der Verfassung des Landes Hessen” :”Das Gesetz- und Verordnungsblatt kann nach Maßgabe eines Gesetzes in elektronischer Form geführt werden.” das in den Volksabstimmungen zur Änderung der Hessischen Verfassung am 28. Oktober 2018 angenommen wurde, ein Schritt in die richtige Richtung sein.