Verschlüsselung bei Telegram

Ruth Fulterer, Gioia da Silva: Telegram: Letzte Bastion der Meinungsfreiheit oder Umschlagplatz für Drogen, Sex und Propaganda? Wann immer Menschen Regierungen und Medien misstrauen, profitiert die Nachrichten-App Telegram. Neuerdings treibt der libertäre Gründer Pawel Durow das Misstrauen aktiv an. Neue Zürcher Zeitung 27.07.2024
Ausgehend von einem Interview von Pawel Durow, Besitzer, Geschäftsführer und Produktmanager von Telegram mit Tucker Carlson werden das Geschäftsmodell von Telegram und der ideologische Hintergrund von Durow analyisert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Qualität der Verschlüsselung.
Dabei ist Telegram technisch gesehen gar nicht so sicher wie viele glauben mögen. Anders als bei Signal und Whatsapp sind Telegram-Konversationen normalerweise unverschlüsselt. Wer das ändern will, muss eigens den «geheim»-Modus auswählen. Für Nachrichten in Gruppen oder Kanälen ist dieser nicht verfügbar. Die meisten Chats liegen also gänzlich unverschlüsselt auf den Servern der Firma. Für Telegram sind diese Daten also grundsätzlich einsehbar. Wer Verbotenes tut, muss darauf vertrauen, dass Durow die sensiblen Daten nicht weitergeben wird.”
Auch die Verschlüsselung selbst ist nicht unproblematisch: Kenny Paterson, Informatik-Professor an der ETH Zürich, hat den Programmcode analysiert: “«Die Verschlüsselung von Telegram ist ein einziges Chaos.» Er könne zwar nicht sagen, dass die App deshalb unsicher sei. Allerdings missachte Telegram sämtliche kryptografische Standards, die die Wissenschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten hervorgebracht habe. Tatsächlich basiert Telegrams Verschlüsselung auf den Ideen von Durows Bruder.”
Ob da eine Backdoor eingebaut ist oder – auf Druck – eingebaut werden kann, ist nicht eindeutig klar.

Fehleinschätzungen der Fake News

Sacha Altay, Manon Berriche, Alberto Acerbi: Misinformation on Misinformation: Conceptual and Methodological Challenges, Social Media und Society January-March 2023 vertreten in ihrem Überblick über den Forschungsstand, dass es sich bei der Fake News Diskussion um einen Fall von Moralpanik handelt. Dramatisierende Berichterstattung führt zu einer überzogenen Wahrnehmung von Bedrohung durch Fake News. In ihrem Abstracts fassen sie zusammen:
“Alarmistische Erzählungen über Online-Fehlinformationen gewinnen weiter an Boden, obwohl es Beweise dafür gibt, dass ihre Verbreitung und Auswirkungen überbewertet werden. Auf der Grundlage von Untersuchungen zur Nutzung von Big Data in der Sozialwissenschaft und in der Rezeptionsforschung identifizieren wir sechs Fehleinschätzungen über Fehlinformationen und zeigen die konzeptionellen und methodischen Herausforderungen auf, die sie aufwerfen.

Die erste Gruppe von Fehleinschätzungen betrifft die Verbreitung und den Umlauf von Fehlinformationen.
Erstens: Wissenschaftler konzentrieren sich auf soziale Medien, weil dies aber Fehlinformationen sind nicht nur ein Problem der sozialen Medien.
Zweitens: Das Internet ist nicht voll von Fehlinformationen oder Nachrichten, sondern mit Memes und unterhaltsamen Inhalten.
Drittens: Unwahrheiten verbreiten sich nicht schneller als die Wahrheit; Wie wir (Fehlinformationen) definieren, beeinflusst unsere Ergebnisse und ihre praktischen Auswirkungen.

Die zweite Gruppe von Missverständnissen betrifft die Auswirkungen und den Empfang von Fehlinformationen.
Viertens: Die Menschen glauben nicht alles, was sie im Internet sehen: Der schiere Umfang des Engagements sollte nicht mit Glauben gleichgesetzt werden.
Fünftens sind die Menschen eher uninformiert als Erhebungen überschätzen Fehleinschätzungen und sagen wenig über den kausalen Einfluss von Fehlinformationen aus.
Sechstens, Der Einfluss von Fehlinformationen auf das Verhalten der Menschen wird überbewertet, da Fehlinformationen oft “für den Chor predigen”. Um Fehlinformationen zu verstehen und zu bekämpfen, muss sich die künftige Forschung mit diesen Herausforderungen befassen.”

Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)

Tiktok Radikalisierung

Die Bildungsstätte Anne Frank fasst in ihrem Report #Nahostkonflikt die Beobachtungen relevanter Plattformen aus den ersten drei Monaten nach dem Terroranschlag in einer ad-hoc-Analyse zusammen.
Deborah Schnabel, Eva Berendsen: Die TikTok-Intifada – Der 7. Oktober & die Folgen im Netz. Analyse & Empfehlungen der Bildungsstätte Anne Frank, Bildungsstätte Anne Frank 2024
Zunächst wird Tiktok als Massenmedium vorgestellt. Die antisemitische Radikalisierung auf Tiktok seit dem 7. Oktober wird beschrieben. Die Hermeneutik des aktuellen Antisemitismus – Mainstreaming, Manichäismus, Dehumanisierung, Progressivistische Maskerade wird analysiert.
Besonders wichtig ist dabei die soziologische Analyse der Dialektik von Herrschaft, Manipulation und Intimität:”Eine Generation junger Menschen, die sich ihr Weltbild aus Videoschnipseln und Fetzen von Demagogie zusammengesetzt hat, wird bald in die Gesellschaft nachrücken, Einfluss nehmen, durch Wahlen und Abstimmungen Entscheidungen treffen. Eine Welle, auf die die Gesellschaft schlichtweg nicht vorbereitet ist. Die schon geschilderte „Intimität” macht die Plattform dabei nahezu unangreifbar für Kritik. TikTok ist auf mehrere Weisen intim: Die For-you-Seite vermittelt das Gefühl, verstanden zu werden und unter einer großen Zahl von Gleichgesinnten zu sein, die die wahre Natur der Dinge durchschaut haben – im Gegensatz zu Lehrkräften, Eltern etc. Hier gibt das Medium allein schon technisch, durch seine Anschmiegsamkeit an jugendliche Cocooning-Bedürfnisse und noch unabhängig von allen Inhalten den Takt vor. Gleichzeitig ist das öffentliche Sprechen über die Plattform sozial noch stark tabuisiert. Wer etwas auf TikTok sagt, hat es nicht in der „wirklichen Welt” gesagt – zu der gelegentlich immerhin Twitter und YouTube schon gehören. Politiker*innen, Journalist*innen, aber auch Pädagog*innen bewerten Videos nicht, kritisieren nicht. So entziehen sich Influencer*innen der Öffentlichkeit, werden niemals mit den Konsequenzen ihrer Radikalisierungsnarrative konfrontiert. Der Gegenwind, den sie verspüren, ist auf die Plattform selbst begrenzt – und bleibt daher selbst intim. Während das Medium das Weltwissen einer ganzen Generation prägt, wird es öffentlich verhandelt wie ein beliebiges Handyspiel.”

Siehe dazu auch: Vera Schroeder: Warum radikalisieren sich junge Menschen über Tiktok so schnell?, Süddeutsche Zeitung 08.02.2024 (hinter der Bezahlschranke)

Manipulationstechniken der Memes

Das digitale Magazin Machine against the Rage hat in seiner Ausgabe Nr. 5 vom Winter 2024 die Manipulationstechniken der Memes untersucht. Lisa Bogerts, Pablo Jost: Against the Rage Five Shades of Hate: Gruppenbezogene Abwertung in Zeiten der Memifizierung
“Wie werden Memes für die Abwertung oder gar Entmenschlichung sozialer Gruppen genutzt? Im Kontext einer zunehmend bildbasierten Online-Kommunikation versprechen gerade Text-Bild-Kombinationen eine besondere Viralität für entsprechende Botschaften: Die aufmerksamkeitsfördernde visuelle Aufmachung kann sie nämlich über die übliche Reichweite hinaustragen. Auf Grundlage einer Zufallsstichprobe untersuchen wir daher erstmals auf einer breiten Datenbasis, wie diskriminierende Memes auf Telegram Anwendung durch rechtsextreme und verschwörungsideologische Akteure finden.”
Aus 8.5 Millionen Bildern in dem Zeitraum von Januar 2022 bis Juni 2023 wurde in einer mehrstufigen Filterung ein Sample von 40.728 Bildern zusammengestellt. Die einzelnen Kapitel: Von den Daten zur Analyse: Ein methodenübergreifender Ansatz; Memes, Masse, Abwertung: Ein quantitativer Überblick; Creators, Manipulators, Mulitpliers: Akteure hinter den Memes; Narrative der Abwertung: Wie (un)bewusst Misogynie verbreitet wird; Die Ambiguität der Ebenen: Elemente von (LGB)T-Feindlichkeit; Die Ästhetik der Abwertung: Rassismus in Memes; Die codierte Rhetorik des Antisemitismus. Schlussbetrachtungen: Die begrenze Viralität der Telegram Memes.

Soziale Medien werden fragmentierter

X (Twitter) bewegt sich durch Musks Politik hin zu einem kleineren Informationsraum. Unbewusst bewegen sich auch andere Plattformane wie Reddit oder Discord in die gleiche Richtung. Ethan Zuckerman: Social Media Is Getting Smaller—and More Treacherous. Fragmented and focused social platforms might be good for helping you find a knitting community. But extremist groups are also using them to normalize darker content. Wired 24.01.2024 analysiert, was dies für Folgen hat. In großen Informationsräumen erreichen Botschaften auch Neubekehrte und Influencer können Zielgruppen aufbauen. Es handelt sich aber nicht um konsensuale, sondern konfliktreiche Räume, in denen unterschiedliche Haltungen und Meinungen aufeinanderprallen. Kleinere Räume sind für homogene Interessengruppen wie z.B. Selbsthilfegruppen interessant. Aber diese Fragmentierung der öffentlichen Sphäre kann gravierende Folgen haben. “These conversations, insulated from outside scrutiny, can normalize extreme points of view and lead people deeper into dark topics they expressed a passing interest in.”

Soziale Medien verändern Gehirn

Der transdisziplinäre Rat für Digitale Ökologie (rdö) hat ein Positionspapier “Social Media als Verhaltenssucht” erstellt. Der Inhalt:
“Social-Media-Plattformen manipulieren gezielt unser Dopaminsystem. Sie machen sich die Mechanismen des menschlichen Lernens zu Nutze. Das ergeben neueste neurologische Forschungen. Schon seit über hundert Jahren sind Werbeindustrie und Verhaltenswissenschaft miteinander verschränkt. Durch das Internet und seine Datenmengen ist dieses Zusammenspiel um ein Vielfaches wirkmächtiger geworden.
In unserem Positionspapier zeichnen wir nach, was das Scrollen neurologisch im Gehirn auslöst und wie Tiktok, Linkedin, Instagram & Co. eine Wirkmacht entfalten, die die Nutzung von Social Media zu einer nicht enden wollenden Gewohnheit machen. Der Schritt zur Social-Media-Sucht ist dann nicht mehr groß.
Das Papier behandelt:
– Wie lernen Menschen? Und welche Rolle spielt dabei Dopamin?
– Welche Design-Elemente manipulieren unser Nutzungsverhalten? („Persuasive Design“)
– Welche Rolle spielen die Algorithmen, die uns Inhalte empfehlen?
– Warum ist es wichtig, dass Social-Media-Sucht offiziell als Sucht anerkannt wird?
– Wie müssen Social-Media-Plattformen reguliert werden, um die Suchtgefahr einzudämmen?
– Welche weiteren Maßnahmen kann die Politik ergreifen?”

Kai Wiedermann: Instagram, Tiktok & Co.: Forscherin warnt vor Schäden. Berliner Morgenpost 12.12.2023

Farangies Ghafoor: Hirnforscherin über soziale Medien: „Das größte Experiment der Menschheitsgeschichte“. Bei Menschen, die intensiv soziale Medien nutzen, könnte sich das Gehirn verändern – ähnlich wie bei ADHS, sagt Frederike Petzschner. Welche Folgen das für uns hat und wie Tiktok das für sich nutzt, Tagesspiegel 12.01.2024 Im Gespräch (hinter der Bezahlschranke)
“Die Idee eines sozialen Netzwerkes ist nicht falsch, sie ist sogar gut. Die Frage ist, ob das soziale Netzwerk einen Algorithmus haben sollte, der dazu führt, dass man es möglichst lange benutzt.”

Anonymität und moralische Scheinwelt

Andre Kieserling: Moralische Scheinwelt. Wie die Anonymität im Netz zur Eskalation der Debatten führt, Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.12.2023 (hinter der Bezahlschranke) wendet die Erkenntnisse zweier amerikanischer Moralphilosophen über “Grandstanding, Gebrauch und Missbrauch moralischer Gespräche”, auf die sozialen Medien des Internet an. “Ihre Hauptthese lautet, dass die Eiferer die Achtung der Gleichgesinnten zu gewinnen suchen, dies aber unter extrem ungünstigen Bedingungen tun müssen.” Man kann die eigene moralisch wertvolle Handlung, die zeigt, wie gut man ist, nicht einfach behaupten. Dies würde zu Misstrauen und Ablehnung führen. “Dann bleibt als Mittel vorteilhafter Selbstdarstellung nur das Urteil über die Handlungen anderer.” Neuerer und Dissidenten gehen dabei Risiken und Nachteile ein, es sei denn, sie handeln anonym. Aber Anonymität oder auch das Schwimmen im Mainstream führen nicht zu der gewünschten Anerkennung. Abhilfe kann zum einen die Erfindung eines Meinungsklimas aus lauter Denkverboten sein, gegen das man sich “mutig” stemmt. Zum anderen kann man sich unter Gleichgesinnten im Mainstream durch noch stärkere Formulierungen, Vorwürfe und Sanktionen profilieren. “Am Ende werden dann Mikro-Aggressionen erfunden, unter denen niemand im Ernst leidet, die anzuprangern aber ein Höchstmaß an moralischen Feingefühlt bezeugt.”

Tosi, Justin & Warmke, Brandon (2020). Grandstanding: The Use and Abuse of Moral Talk. New York: Oxford University Press. Edited by Brandon Warmke.
Brandon Warmke: Moral Grandstanding: Why Status-Seeking Destroys Public Discourse Youtube 24.01.2023

Social Media Verschwörungen

Ben Schwan: In welchen Stufen sich Verschwörungen auf Social Media verbreiten. Ein Forscherteam hat die Radikalisierung auf Facebook und Co. untersucht. Ganz verloren seien die sozialen Medien aber noch nicht. In welchen Stufen sich Verschwörungen auf Social Media verbreiten, in: MIT Technology Review/ Heise 21.08.2023 gibt die Ergebnisse einer Studie von Christine Abdalla Mikhaeil, Richard L. Baskerville: Explaining online conspiracy theory radicalization: A second-order affordance for identity-driven escalation, in: Information Systems Journal 15.01.2023 wieder. Es werden vier Stufen der Radikalisierung unterschieden: Bestätigung, Affirmation, Informationsumgebung steuern, Inszenierung der Identität. “Im letzten Schritt kommt es auch zur Sichtbarmachung gegenüber anderen und der Rekrutierung von Anhängern.” Die Autoren schreiben in ihrem Abstract: “This study advances a second-order affordance for identity-driven escalation that explains the process of conspiracy theory radicalization within online communities. We offer a theoretical account of the way social media platforms contribute to escalating commitment to conspiracy radicalization. We show how the sequential and combined actualization of first-order affordances of the technology enables a second-order affordance for escalation.”

Understanding Tiktok

Beiträge des Tiktok Forschers Marcus Bösch erläutern Struktur und Arbeitsweise des Videoportals und sozialen Netzwerks Tiktok:
Anne Vollmer: „Auch Russland und die Ukraine nutzen Tiktok, um Propaganda zu platzieren“. Die chinesische Plattform Tiktok ist das Onlinemedium junger Leute. Warum? Was macht der Algorithmus von Tiktok? Wie steht es um Desinformation und Propaganda? Fragen an den Forscher Marcus Bösch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.04.2023 (hinter der Bezahlschranke)
Die Relevanz von Tiktok ergibt sich aus der Zahl der Nutzer (über eine Milliarde) und der überdurchschnittlichen Nutzungsdauer. “Tiktok hat als erste Plattform einen hinderprozentigen Fokus auf die algorithmisceh Verbreitung von Inhalten.” Die alte Plattformlogik (Infos von Freunden, die ich mit vermetzten Leuten teile) ist aufgegeben worden. Ein Video wird an zehn zufällige Nutzer ausgespielt, deren Reaktionen bestimmen den weiteren – möglicherweise viralen – Nutzungsverlauf. Die Stärke ist dabei die unmittelbere, authentische und emotionale Ebene, die quer zur tradionellen journalistischen Information steht. “Ein spannendes vertikales, eher kürzeres Bewegtbildangebot wird Im Moment kulturell von Tiktok getrieben.”

Marcus Bösch und Chris Köver: Schluss mit lustig? TikTok als Plattform für politische Kommunikation, Studie im Auftrg der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mai 2021

Schluss mit lustig? Visueller Aktivismus auf TikTok und Instagram. Diskussion mit den Studienautorinnen Chris Köver (Schluss mit lustig? TikTok als Plattform für Politische Kommunikation) und Tanja Maier (Visueller Aktivismus auf Instagram)

Understanding Tiktok. Wöchentlicher Newsletter von Markus Bösch: TikTok – What is it? How does it work? Why should i be interested? And where do i begin. I try to find answers. Every week.

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