Deutsche zahlen ganz gern Steuern
“Uno-Untersuchung. Deutsche zahlen ganz gern Steuern. Viele Bürger klagen oft über hohe Abgaben. Eine von der Uno veröffentlichte Untersuchung kommt aber zu dem Schluss: Die Akzeptanz des Steuersystems ist in Deutschland hoch – verglichen mit anderen Ländern“, so ein Artikel in Spiegel Online vom 03.01.2019.
Diese Meldung ging als Teil des automatisierten Nachrichten-Feeds der Deutschen Presse-Agentur (dpa) durch über 170 deutsche Medien. Lediglich ein Tageszeitungs– und ein Blog-Artikel setzten sich kritisch mit der Meldung auseinander. Das Problem: nichts daran stimmt.
1. Urheber
Es ist keine Uno-Studie, sondern wurde vom Basel Institute of Commons and Economics erstellt und in der Finanzierungskommission der Vereinten Nationen vorgestellt. Es ist ein völlig normaler Vorgang, dass z.B. Vorbereitung des IATF-Reports 2019 der Inter-agency Task Force on Financing for Development (IATF) Stellungnahmen von externen Stakeholdern eingeholt werden.
Das Basel Institute of Commons and Economics ist eine Aktiengesellschaft in Basel, die als Lobbyorganisation u.a. im EU-Raum (dort auch registriert im Transparenz-Register der EU) und international agiert. Wer die Namensaktien hält und wie sich dieses Institut finanziert, wird nicht offengelegt. Ein öffentlicher Geschäftsbericht existiert nicht.
Es beschäftigt sich u.a. mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), den politischen Zielsetzungen der UNO und ihrer Messung. Neben der Messung ist allerdings die Finanzierung das Problem. “Today credits are reached out through governments and their agencies. That causes transaction costs up to 80 per cent of the funding.“ Es fallen also überflüssige Ressourcen für Regierung, Parlament, Haushaltsberatungen, Verwaltung und internationale Organisationen an. In Zukunft sollen die durch Steuern erhobenen Gelder von der Zentralbank direkt an Banken übertragen werden, um Ziele wie “Frieden” und “Beseitigung der Armut” zu realisieren. “The future is to reach out credits directly to local SMEs and cooperatives. The credits come from the Central Banks of the OECD countries and will be reached out by cooperative banks.” Langfristig ist die Implementation einer solchen Steuer und ihrer direkten Übertragung die Zielsetzung dieser Lobby-PR-Kampagne. Es ist das Gegenteil von Haushaltsführung in unserer parlamentarischen Demokratie, die Zwecke und Gründe von Steuern einerseits und Haushaltsausgaben andererseits definiert, parlamentarisch verabschiedet, und den Haushalt durch Budgetverantwortung und ihre Kontrolle durch die Rechnungshöfe vollzieht.
2. Folgerung Akzeptanz
“Aus den Ergebnissen kann nicht auf die Akzeptanz des Steuersystems in Deutschland geschlossen werden, denn nach einer solchen wurde überhaupt nicht gefragt. “
3. Fragestellung
Der Blog-Beitrag in ScienceFiles hat die Fragestellung schon richtig analysiert: “Die Befragung, aus der sich der Spiegel bedient, hat nicht öffentliche Belange zum Gegenstand, sondern die Finanzierung der oben genannten Ziele. Darüber werden die Befragten indes im Unklaren gelassen, denn im Fragebogen werden sie gefragt:
Will the people accept taxes and contributions to finance public goods?
Public goods: healthcare, education, environmental issues, infrastructure, social aid, public media, arts, Diese Frage ist insofern eine fiese Frage, als sie die Einschätzung dessen, was andere vielleicht bereit wären zu tun, nicht jedoch das, was man selbst bereit wäre zu tun, erfragt: Akzeptieren die Leute Steuern und Abgaben um öffentliche Güter zu finanzieren, wobei das Gesundheitssystem, die Bildung, Umweltschutz, Infrastruktur und öffentliche Medien, Sozialhilfe und Kunst als öffentliche Güter bezeichnet werden, obwohl keines davon ein öffentliches Gut ist. Als öffentliche Güter gelten Güter, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und die keine rivalisierenden Güter darstellen, d.h. wenn A das Gut nutzt, ist die Nutzung durch B weiterhin möglich und nicht etwa ausgeschlossen. Öffentliche Güter sind z.B. Sicherheit oder Schutz vor Überschwemmungen durch Deiche. Keines der oben genannten Güter ist ein öffentliches Gut.”
4. Validität von Daten
Gehen wir einmal davon aus, dass die Angabe der Teilnehmer an dem Monitor stimmt: “The Social Capital Assessment up to now reached around 10.000 participants in 140 countries.” Danach haben also pro Land 71 Personen an der Umfrage teilgenommen. Methodisch werden die Fragen vor Ort von NGOs gestellt und die Antworten gesammelt. Um welche NGOs es sich handelt und wie Personen ausgewählt werden oder auf die Fragebogen aufmerksam gemacht werden, wird nicht offengelegt. In der methodologischen Grundlage wird Repräsentativität ausdrücklich abgelehnt. “To preferring open access, local results and anonymity to representativity is a methodological decision. It will not exclude the possibility, that representative surveys with the same questions will create different results. But the results of the World Social Capital Monitor can’t pretend to being representative in any case.”
Obwohl Wert auf Anonymität gelegt wird, sind die Beispiele keineswegs anonym. Unter einem Beispiel wird angezeigt, dass sowohl die e-mail-Adresse als auch die IP-Adresse des Befragten Person “bekannt” sind.
In einer Entgegnung auf die Kritik an der Schlussfolgerung der Akzeptanz wird darauf hingewiesen, dass das politische Verhalten der Deutschen gerade diese Schlussfolgerung bestätige. Sie fallen auf die Wahlkampfversprechen von Steuersenkung herein und machen bei folgender Steuererhöhung keinen Widerstand. “Der starke Widerspruch gegen die festgestellte Solidarität der Deutschen bei der Finanzierung öffentlicher Güter ist eine Perle der Wahrnehmungsverzerrung und erinnert an den Klassiker: Die FDP hat in allen Jahren, in denen sie an der Regierung war, stets die direkten Steuern erhöht. Im Wahlkampf ist sie aber bis heute als Steuersenkungspartei aufgetreten. Die ständig steigenden Steuereinnahmen Deutschlands sprechen also für die Validität der Umfrageergebnisse. Deutsche jammern zwar ständig über die Steuern – aber sie zahlen sie.”
4. Schlussfolgerung
Bei der kritiklosen Übernahme dieser Meldungen über 170 deutschen Medien, die dies ihren Lesern als Qualitätsjournalismus verkaufen, ist die gesamte deutsche Öffentlichkeit mit dieser PR-Kampagne des Lobby-Instituts geflutet worden. Die Daten erhalten in dieser Funktion eine neue Aufgabe: Datenlobbyismus