Tiktok Radikalisierung

Die Bildungsstätte Anne Frank fasst in ihrem Report #Nahostkonflikt die Beobachtungen relevanter Plattformen aus den ersten drei Monaten nach dem Terroranschlag in einer ad-hoc-Analyse zusammen.
Deborah Schnabel, Eva Berendsen: Die TikTok-Intifada – Der 7. Oktober & die Folgen im Netz. Analyse & Empfehlungen der Bildungsstätte Anne Frank, Bildungsstätte Anne Frank 2024
Zunächst wird Tiktok als Massenmedium vorgestellt. Die antisemitische Radikalisierung auf Tiktok seit dem 7. Oktober wird beschrieben. Die Hermeneutik des aktuellen Antisemitismus – Mainstreaming, Manichäismus, Dehumanisierung, Progressivistische Maskerade wird analysiert.
Besonders wichtig ist dabei die soziologische Analyse der Dialektik von Herrschaft, Manipulation und Intimität:“Eine Generation junger Menschen, die sich ihr Weltbild aus Videoschnipseln und Fetzen von Demagogie zusammengesetzt hat, wird bald in die Gesellschaft nachrücken, Einfluss nehmen, durch Wahlen und Abstimmungen Entscheidungen treffen. Eine Welle, auf die die Gesellschaft schlichtweg nicht vorbereitet ist. Die schon geschilderte „Intimität” macht die Plattform dabei nahezu unangreifbar für Kritik. TikTok ist auf mehrere Weisen intim: Die For-you-Seite vermittelt das Gefühl, verstanden zu werden und unter einer großen Zahl von Gleichgesinnten zu sein, die die wahre Natur der Dinge durchschaut haben – im Gegensatz zu Lehrkräften, Eltern etc. Hier gibt das Medium allein schon technisch, durch seine Anschmiegsamkeit an jugendliche Cocooning-Bedürfnisse und noch unabhängig von allen Inhalten den Takt vor. Gleichzeitig ist das öffentliche Sprechen über die Plattform sozial noch stark tabuisiert. Wer etwas auf TikTok sagt, hat es nicht in der „wirklichen Welt” gesagt – zu der gelegentlich immerhin Twitter und YouTube schon gehören. Politiker*innen, Journalist*innen, aber auch Pädagog*innen bewerten Videos nicht, kritisieren nicht. So entziehen sich Influencer*innen der Öffentlichkeit, werden niemals mit den Konsequenzen ihrer Radikalisierungsnarrative konfrontiert. Der Gegenwind, den sie verspüren, ist auf die Plattform selbst begrenzt – und bleibt daher selbst intim. Während das Medium das Weltwissen einer ganzen Generation prägt, wird es öffentlich verhandelt wie ein beliebiges Handyspiel.“

Siehe dazu auch: Vera Schroeder: Warum radikalisieren sich junge Menschen über Tiktok so schnell?, Süddeutsche Zeitung 08.02.2024 (hinter der Bezahlschranke)

Social Media Verschwörungen

Ben Schwan: In welchen Stufen sich Verschwörungen auf Social Media verbreiten. Ein Forscherteam hat die Radikalisierung auf Facebook und Co. untersucht. Ganz verloren seien die sozialen Medien aber noch nicht. In welchen Stufen sich Verschwörungen auf Social Media verbreiten, in: MIT Technology Review/ Heise 21.08.2023 gibt die Ergebnisse einer Studie von Christine Abdalla Mikhaeil, Richard L. Baskerville: Explaining online conspiracy theory radicalization: A second-order affordance for identity-driven escalation, in: Information Systems Journal 15.01.2023 wieder. Es werden vier Stufen der Radikalisierung unterschieden: Bestätigung, Affirmation, Informationsumgebung steuern, Inszenierung der Identität. „Im letzten Schritt kommt es auch zur Sichtbarmachung gegenüber anderen und der Rekrutierung von Anhängern.“ Die Autoren schreiben in ihrem Abstract: „This study advances a second-order affordance for identity-driven escalation that explains the process of conspiracy theory radicalization within online communities. We offer a theoretical account of the way social media platforms contribute to escalating commitment to conspiracy radicalization. We show how the sequential and combined actualization of first-order affordances of the technology enables a second-order affordance for escalation.“