Soziale Medien simuliert

Maik Larooij, Petter Törnberg: Can We Fix Social Media? Testing Prosocial Interventions using Generative Social Simulation arXiv preprint arXiv:2508.03385 05.08.2025
Abstract:
„Soziale Medienplattformen werden häufig mit gesellschaftlichen Schäden in Verbindung gebracht, darunter zunehmende Polarisierung und der Verlust konstruktiver Debatten. Können diese Probleme durch prosoziale Interventionen gemildert werden? Wir befassen uns mit dieser Frage unter Verwendung einer neuartigen Methode – generative soziale Simulation –, die große Sprachmodelle in agentenbasierte Modelle einbettet, um sozial reichhaltige synthetische Plattformen zu schaffen. Wir erstellen eine minimale Plattform, auf der Agenten Beiträge veröffentlichen, reposten und anderen folgen können. Wir stellen fest, dass die daraus resultierenden Follower-Netzwerke drei gut dokumentierte Dysfunktionen reproduzieren: (1) parteiische Echokammern; (2) konzentrierter Einfluss unter einer kleinen Elite; und (3) die Verstärkung polarisierter Stimmen – wodurch ein „Social-Media-Prisma” entsteht, das den politischen Diskurs verzerrt. Wir testen sechs vorgeschlagene Interventionen, von chronologischen Feeds bis hin zu Brückenalgorithmen, und stellen nur geringfügige Verbesserungen fest – in einigen Fällen sogar verschlechterte Ergebnisse. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kernfunktionsstörungen möglicherweise in der Rückkopplung zwischen reaktiver Beteiligung und Netzwerkwachstum begründet sind, was die Möglichkeit nahelegt, dass eine sinnvolle Reform ein Überdenken der grundlegenden Dynamik der Plattformarchitektur erfordert.“

Philipp Schröder: Ist Social Media von Natur aus asozial? Zwei Forscher kreieren einen Social Media Kanal mit 500 Nutzern und schauen, was passiert. Es geht zu, wie man es von existierenden Plattformen kennt. Das könnte damit zu tun haben, dass die Nutzer mit KI simuliert wurden. Aber nicht. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.08.2025 (hinter der Bezahlschranke)
Die Studie reproduziert problematische Funktionsweisen sozialer Medien. Festgestellt werden drei wesentliche Funktionsstörungen: „Homogenität, ungleiche Verteilung der Aufmerksamkeit und die Verstärkung extremeer Stimmungen und Meinungen“. Weniger steuernde Algorithmen seien aber für dafür verantwortlich, sondern ein grundlegend falsches polarisierendes Bild der Wirklichkeit.

Typologie des Online Streits

Piotr Heller: „Vergeltung schlägt Wiedergutmachung“. Ashley Shea hat eine Typologie des Online-Streits erstellt. Die Forscherin Ashley Shea hat tausende Debatten in sozialen Medien untersucht. Hier erklärt sie, welche Taktiken im Online-Streit besonders gut funktionieren. Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.08.2025 (hinter der Bezahlschranke)

„Sie haben sieben Arten des Widerspruchs erkannt – drei davon nutzen Drohungen oder Einschüchterung:
Eine Art war die Androhung physischer Gewalt. Das wollen die Plattformen entfernen. Man findet es dennoch. Dann gibt es die ad-hominem-Attacken. Man widerspricht nicht dem, was gesagt wird, sondern diffamiert die Person als Lügner oder Rassist. Die dritte Art ist der Angriff auf den Inhalt, ohne sachliche Auseinandersetzung. Man tut ihn etwa als Lüge oder Verschwörungstheorie ab.
Sie haben auch zwei Arten des Widerspruchs gefunden, die legitim wirken:
Bei der logischen Disqualifizierung zeigt man mit Logik oder Belegen, dass eine Aussage falsch war. Dies geschieht in der Regel respektvoll. Die zweite Art – wir nennen sie moralische Korruption -weist auf moralische Probleme einer Aussage hin. Ein solcher Fall war, als ein Nutzer geschrieben hat: ‚Sie als Veteran sollten nicht so sprechen.'“
Als Muster treten ausserdem die auf die Selbstkontrolle (Man nimmt sich selbst aus der Debatte) oder die Raumkontrolle (das Gegenüber wird dazu gedrängt, den Raum zu verlassen).

Ashley L. Shea,Aspen KB Omapang, Yong Cho,Miryam Y. Ginsparg,Natalie N. Bazarova,Winice Hui,René F. Kizilcec,Chau Tong,Drew B. Margolin: Beyond ad hominem attacks: A typology of the discursive tactics used when objecting to news commentary on social media, PLOS One 20,08,2025
Abstract: „Soziale Medien dienen zunehmend als primärer Ort, an dem sich Menschen an öffentlichen Diskussionen über Nachrichten beteiligen. In diesen Gesprächen sind persönliche Angriffe weit verbreitet. Solchen persönlichen Angriffen können kognitive oder affektive Ziele zugrunde liegen, beispielsweise die Diskreditierung eines Anbieters gefälschter Beweise oder das Signalisieren sozialer Distanz zu einem hasserfüllten Provokateur. Sie können auch von einem einfachen operativen Ziel getrieben sein: das Gesagte zu unterbinden. Wenn persönliche Angriffe eingesetzt werden, um die Kommentare einer anderen Person zu unterbinden, bezeichnen wir dies als diskursive Einspruchstaktik. In diesem Artikel untersuchen wir die Verbreitung persönlicher Angriffe und die Merkmale anderer diskursiver Taktiken, die von Menschen eingesetzt werden, um Online-Nachrichtenkommentaren zu widersprechen. Zunächst führten wir eine Inhaltsanalyse von über 6.500 Kommentarantworten auf beliebte Nachrichtenvideos auf YouTube und Twitter durch und identifizierten sieben verschiedene diskursive Einspruchstaktiken. Anschließend untersuchten wir die Häufigkeit des Auftretens jeder Taktik anhand der 6.500 Kommentarantworten sowie einer zweiten Stichprobe von 2.004 Antworten. Unsere Ergebnisse bestätigen, dass persönliche Angriffe zwar die am häufigsten verwendete diskursive Taktik sind, um Nachrichtenkommentare zu beanstanden, dass aber auch eine Vielzahl anderer diskursiver Einspruchstaktiken zum Einsatz kommen. Die daraus resultierende Typologie bietet einen umfassenden Überblick über Basisinitiativen, die auf abschreckende Sprache, nicht-akkommodierende Kommunikation und prosoziale Strategien setzen.“

Holocaust als Meme

Bildungsstätte Anne Frank. Der Holocaust als Meme: Wie in digitalen Räumen Geschichte umgedeutet wird. Mai 2025
Abstract: „In unserem Report „Der Holocaust als Meme“ stellen wir einige Beispiele geschichtsrevisionistischer Inhalte in digitalen Medien vor, die in unseren Augen eine breitere Öffentlichkeit brauchen – sei es, weil sie besonders große Reichweiten erzielen, besonders subtilen Strategien folgen oder zu schon bedenklich normalisierten Formen alternativhistorischer Erzählungen gehören. Die aufgeführten Beispiele und Analysen dienen dazu, zentrale Beobachtungen, wiederkehrende Muster und exemplarische Phänomene im Umgang mit Geschichte in digitalen Räumen zu veranschaulichen.
Ein besonderer Fokus liegt auf den Plattformen Instagram und TikTok, da sie zu den reichweitenstärksten und einflussreichsten Social-Media-Kanälen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen zählen. Neben sozialen Medien beziehen wir uns auch auf digitale Spiele mit historischem Setting.“

Untersuchung zu Bluesky

Leonhard Balduf, Saidu Sokoto, Onur Ascigil, Gareth Tyson, Björn Scheuermann, Maciej Korczyński, Ignacio Castro, Michaŀ Król: Looking AT the Blue Skies of Bluesky. IMC ’24: Proceedings of the 2024 ACM on Internet Measurement Conference Pages 76 – 91
Abstract: „Die Fallstricke zentralisierter sozialer Netzwerke, wie Facebook und Twitter/X, haben zu Bedenken hinsichtlich Kontrolle, Transparenz und Verantwortlichkeit geführt. Infolgedessen sind dezentralisierte soziale Netzwerke mit dem Ziel entstanden, den Nutzern mehr Möglichkeiten zu geben. Diese dezentralen Ansätze bringen ihre eigenen Kompromisse mit sich, und daher gibt es mehrere Architekturen. In diesem Beitrag führen wir die erste groß angelegte Analyse von Bluesky durch, einer bekannten dezentralen Microblogging-Plattform. Im Gegensatz zu alternativen Ansätzen (z.B. Mastodon) zerlegt und öffnet Bluesky die Schlüsselfunktionen der Plattform in Teilkomponenten, die von Drittanbietern bereitgestellt werden können. Wir sammeln einen umfassenden Datensatz, der alle Schlüsselelemente von Bluesky abdeckt, untersuchen die Nutzeraktivität und bewerten die Vielfalt der Anbieter für jede Teilkomponente.“
Die Ergebnisse laut Presseerklärung der TU Darmstadt:
„Die partizipative Plattform beruhe auf fundamental anderen Prinzipien und Architekturen. Zu den größten Vorteilen gegenüber zentralisierten Netzwerken wie Facebook oder X gehörten Offenheit, Transparenz, Partizipation und eine gleichmäßigere Machtverteilung. So haben Bluesky-User deutlich mehr Kontrolle sowohl über ihre eigenen Daten und ihre eigene Identität als auch über die ihnen angezeigten Inhalte…
Neben den großen Pluspunkten ist die dezentralisierte Plattform laut Studie jedoch auch mit Nachteilen verbunden. So werde unter anderem verstärkt darüber diskutiert, wer die Rechte an den Inhalten habe und wie der offene Datenzugang vor Missbrauch geschützt werden könne, erklärt Balduf. Auch habe sich gezeigt, dass das System unter Umständen mit dem großen Wachstum überfordert sein könnte und die künftige Finanzierung des derzeit werbefreien Dienstes eine offene Frage darstelle. Seit Öffnung der relativ jungen Plattform für die Allgemeinheit im Februar 2024 verzehnfachte sich die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer von etwa 2,5 Millionen auf heute rund 28 Millionen.“

Fake News schneller als Wahrheit

Soroush Vosoughi, Deb Roy, Sinan Aral: The spread of true and false news online. Science 09.03.2018 Eine ältere, aber nach wie vor aktuelle Arbeit
Abstract: „Wir untersuchten die Differential-Fundionage aller verifizierten Wahren und falschen Nachrichten, die von 2006 bis 2017 auf Twitter verbreitet wurden. Die Daten umfassen 126.000 Dollar, die von 3 Millionen Menschen mehr als 4,5 Millionen Mal getwittert wurden. Wir stuften Nachrichten als wahr oder falsch ein, indem wir Informationen von sechs unabhängigen Faktenkontrollorganisationen, die 95 bis zu 98% Vereinbarungen über die Klassifizierungen aufwiesen, verwendet. Die Falschheit verbreitete sich deutlich weiter, schneller, tiefer und im weiteren Sinne als die Wahrheit in allen Kategorien von Informationen, und die Auswirkungen waren für falsche politische Nachrichten ausgeprägter als für falsche Nachrichten über Terrorismus, Naturkatastrophen, Wissenschaft, städtische Legenden oder Finanzinformationen. Wir fanden heraus, dass falsche Nachrichten eher neu waren als wahre Nachrichten, was darauf hindeutet, dass Menschen eher neue Informationen teilen. Während falsche Geschichten Angst, Ekel und Überraschung in Antworten weckten, weckten wahre Geschichten Vorfreude, Traurigkeit, Freude und Vertrauen. Entgegen der herkömmlichen Meinung beschleunigten Roboter die Verbreitung wahrer und falscher Nachrichten in der gleichen Geschwindigkeit, was bedeutet, dass sich falsche Nachrichten mehr verbreiten als die Wahrheit, weil Menschen, nicht Roboter, sie eher verbreiten.“

Vermessung der deutschsprachigen Twittersphäre

Luca Hammer hat seine Bachelorarbeit „Vermessung der deutschsprachigen Twittersphäre” online gestellt. „In dieser Arbeit gehe ich der Frage nach, ob und wie man die gesamte deutschsprachige Twittersphäre vermessen kann. Dabei versuche ich unter anderem folgendes zu beantworten: Können alle deutschsprachigen Tweets durch Wissenschafer_innen erfasst werden? Wie zuverlässig ist die Sprachklassifizierung von Twitter? Falls eine vollständige Erfassung möglich ist: Wie viele Tweets werden pro Tag veröffentlicht? Wie viele Accounts beteiligen sich? Gibt es voneinander getrennte Gruppen von Accounts oder sind sie alle miteinander vernetzt?“

Verschlüsselung bei Telegram

Ruth Fulterer, Gioia da Silva: Telegram: Letzte Bastion der Meinungsfreiheit oder Umschlagplatz für Drogen, Sex und Propaganda? Wann immer Menschen Regierungen und Medien misstrauen, profitiert die Nachrichten-App Telegram. Neuerdings treibt der libertäre Gründer Pawel Durow das Misstrauen aktiv an. Neue Zürcher Zeitung 27.07.2024
Ausgehend von einem Interview von Pawel Durow, Besitzer, Geschäftsführer und Produktmanager von Telegram mit Tucker Carlson werden das Geschäftsmodell von Telegram und der ideologische Hintergrund von Durow analyisert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Qualität der Verschlüsselung.
Dabei ist Telegram technisch gesehen gar nicht so sicher wie viele glauben mögen. Anders als bei Signal und Whatsapp sind Telegram-Konversationen normalerweise unverschlüsselt. Wer das ändern will, muss eigens den «geheim»-Modus auswählen. Für Nachrichten in Gruppen oder Kanälen ist dieser nicht verfügbar. Die meisten Chats liegen also gänzlich unverschlüsselt auf den Servern der Firma. Für Telegram sind diese Daten also grundsätzlich einsehbar. Wer Verbotenes tut, muss darauf vertrauen, dass Durow die sensiblen Daten nicht weitergeben wird.“
Auch die Verschlüsselung selbst ist nicht unproblematisch: Kenny Paterson, Informatik-Professor an der ETH Zürich, hat den Programmcode analysiert: „«Die Verschlüsselung von Telegram ist ein einziges Chaos.» Er könne zwar nicht sagen, dass die App deshalb unsicher sei. Allerdings missachte Telegram sämtliche kryptografische Standards, die die Wissenschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten hervorgebracht habe. Tatsächlich basiert Telegrams Verschlüsselung auf den Ideen von Durows Bruder.“
Ob da eine Backdoor eingebaut ist oder – auf Druck – eingebaut werden kann, ist nicht eindeutig klar.

Fehleinschätzungen der Fake News

Sacha Altay, Manon Berriche, Alberto Acerbi: Misinformation on Misinformation: Conceptual and Methodological Challenges, Social Media und Society January-March 2023 vertreten in ihrem Überblick über den Forschungsstand, dass es sich bei der Fake News Diskussion um einen Fall von Moralpanik handelt. Dramatisierende Berichterstattung führt zu einer überzogenen Wahrnehmung von Bedrohung durch Fake News. In ihrem Abstracts fassen sie zusammen:
„Alarmistische Erzählungen über Online-Fehlinformationen gewinnen weiter an Boden, obwohl es Beweise dafür gibt, dass ihre Verbreitung und Auswirkungen überbewertet werden. Auf der Grundlage von Untersuchungen zur Nutzung von Big Data in der Sozialwissenschaft und in der Rezeptionsforschung identifizieren wir sechs Fehleinschätzungen über Fehlinformationen und zeigen die konzeptionellen und methodischen Herausforderungen auf, die sie aufwerfen.

Die erste Gruppe von Fehleinschätzungen betrifft die Verbreitung und den Umlauf von Fehlinformationen.
Erstens: Wissenschaftler konzentrieren sich auf soziale Medien, weil dies aber Fehlinformationen sind nicht nur ein Problem der sozialen Medien.
Zweitens: Das Internet ist nicht voll von Fehlinformationen oder Nachrichten, sondern mit Memes und unterhaltsamen Inhalten.
Drittens: Unwahrheiten verbreiten sich nicht schneller als die Wahrheit; Wie wir (Fehlinformationen) definieren, beeinflusst unsere Ergebnisse und ihre praktischen Auswirkungen.

Die zweite Gruppe von Missverständnissen betrifft die Auswirkungen und den Empfang von Fehlinformationen.
Viertens: Die Menschen glauben nicht alles, was sie im Internet sehen: Der schiere Umfang des Engagements sollte nicht mit Glauben gleichgesetzt werden.
Fünftens sind die Menschen eher uninformiert als Erhebungen überschätzen Fehleinschätzungen und sagen wenig über den kausalen Einfluss von Fehlinformationen aus.
Sechstens, Der Einfluss von Fehlinformationen auf das Verhalten der Menschen wird überbewertet, da Fehlinformationen oft „für den Chor predigen“. Um Fehlinformationen zu verstehen und zu bekämpfen, muss sich die künftige Forschung mit diesen Herausforderungen befassen.“

Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)

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