Evgeny Morozov: Das World Wide Web wird 30. Das digitale Netz dringt in alle Lebensbereiche vor – mit noch immer unabsehbaren Folgen, in: Neue Zürcher Zeitung 17.4.2019 kritisiert ein technizistisch verkürztes Verständnis des Internet. Zum einen wird die Entstehung verkannt. Sie war nicht auf engagierte Programmierer und Computerfreaks zurückzuführen. “Die ersten Datennetzwerke wurden im Pentagon und an der Wall Street entwickelt und propagiert. Die Regierungen hatten von Anfang an ihre Hand im Spiel, wobei nicht nur die Geheimdienste involviert waren, sondern auch – jedenfalls in den USA – das Finanz- und das Handelsministerium: Sie sollten die weltweite Vormachtstellung der amerikanischen Computerindustrie sichern. Die Werbeindustrie sprang nicht erst nach der Jahrtausendwende auf den digitalen Zug auf, sondern schon in den frühen neunziger Jahren, als die ersten Browser installiert wurden.” Zum anderen war das scheinbar Immaterielle und Virtuelle schon immer an Infrastrukturen gebunden. Sie sind
“zum kapitalintensivsten Sektor der Wirtschaft geworden, gestützt von handfesten Dingen wie riesigen Rechenzentren, Unterseekabeln und einer Sensor-Infrastruktur, die unsere Städte überspannt”.
Morozov kritisiert daher die von Tim Berners-Lee neu entwickeltes Lösung Solid für die Verwaltung der Daten durch den Benutzer selbst als “technokratische Heilslehre”, die “die ganze Geschichte des Internets auf den Übergang von einer guten Technologie – der Erfindung des Übertragungsprotokolls HTTP – zu einer anderen guten Technologie – «Solid»” reduziert. Er fordert stattdessen eine politische Regelung der Infrastrukturen: “Zunächst brauchen wir eine Politik für diese Infrastrukturen, die auch Aspekte wie deren politische Ökonomie, die Besitzverhältnisse und die Verteilung der Risiken zwischen diversen öffentlichen und privaten Akteuren einbegreift. Erst dann können wir uns der profaneren Aufgabe zuwenden, die richtigen Mechanismen und Plattformen zu finden, um alle Bestandteile in eine gemeinsame Struktur einzubinden.”