Fake News und Faktenchecker

Morten Freidel: Wie Faktenchecker die Unwahrheit verbreiten und die Debatte vergiften. Immer wieder heisst es, das Ende der Faktenprüfer gefährde die öffentliche Diskussion bei Facebook und anderswo. Doch wer genau hinsieht, erkennt: Es ist genau andersherum. Neue Zürcher Zeitung 18.01.2025
“Verbreitet sich ohne Faktenprüfer, die Inhalte auf den digitalen Plattformen durchleuchten, die Lüge? Andersherum gefragt: Verhelfen Faktenprüfer der Wahrheit zum Durchbruch? Eine genaue Bestandsaufnahme der NZZ ergibt ein anderes Bild. Sie zeigt, dass Faktenprüfer in Deutschland häufig gar keine Tatsachen prüfen, sondern Meinungen bewerten. Sie belegt, dass selbst umstrittene Einschätzungen solcher Prüfer prominent auf Facebook oder Instagram platziert wurden und so die Diskussion verzerrten. Und dass Gerichte Facebook bereits in mehreren Fällen untersagt haben, sie weiterzuverbreiten.”

Edda Grabar, Holger Kreitling: „Experten für Misinformation stehen deutlich links der Mitte“. Die Aufregung um Desinformation und Fake News in sozialen Medien ist groß. Hohe Gefahr wird beschworen. Der Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmann hat einen nüchternen Blick auf die Themen – und kennt die wahre Datenlage. Welt 20.02.2025 (hinter der Bezahlschranke)
Hoffmann geht davon aus, dass die Dezentralisierung von Information Vor- und Nachteile mit sich bringt. “Sie bringt Lebendigkeit in den Diskurs und kann eine Demokratie anpassungsfähiger und flexibler machen.” Nur wenige Menschen würdenFake News sehen. Selbst in den USA sei “der Anteil von Misinformationen im einstelligen Prozentbereich.” Algorithmen würden nicht so lenkend eingreifen wie befürchtet. “Nach meiner Lesart der Daten ist die Evidenz für Filterblasen in den vergangenen vier bis fünf Jahren immer schlechter geworden.” Die Effekte von Faktenchecks seien sehr klein, würden im übrigen eher Meinungen bewerten.

Friederike Morat: Überschätzte Desinformation, unterschätzte Datenmacht: Sind soziale Medien die größte Gefahr für die Demokratie? Eine internationale Metastudie zeigt: Der Einfluss von Desinformation auf Wahlen und Demokratie ist überraschend gering – das Problem liegt ganz woanders. Tagesspiegel 17.01.2025 (hinter der Bezahlschranke) “Die Studien, die wir durchgesehen haben, haben gezeigt, dass es keine empirischen Nachweise dafür gibt, das Desinformation irgendetwas groß beeinflußt hat.”

Mansell, R., Durach, F., Kettemann, M., Lenoir, T., Procter, R., Tripathi, G., and Tucker, E. (2025): Information Ecosystems and Troubled Democracy: A Global Synthesis of the State of Knowledge on New Media, AI and Data Governance. International Observatory on Information and Democracy. Paris.

Technische Universität München in Kooperation mit HateAid: Angegriffen und Alleingelassen. Wie sich digitale Gewalt auf politisches Engagement auswirkt. Ein Lagebild.

Fake News schneller als Wahrheit

Soroush Vosoughi, Deb Roy, Sinan Aral: The spread of true and false news online. Science 09.03.2018 Eine ältere, aber nach wie vor aktuelle Arbeit
Abstract: “Wir untersuchten die Differential-Fundionage aller verifizierten Wahren und falschen Nachrichten, die von 2006 bis 2017 auf Twitter verbreitet wurden. Die Daten umfassen 126.000 Dollar, die von 3 Millionen Menschen mehr als 4,5 Millionen Mal getwittert wurden. Wir stuften Nachrichten als wahr oder falsch ein, indem wir Informationen von sechs unabhängigen Faktenkontrollorganisationen, die 95 bis zu 98% Vereinbarungen über die Klassifizierungen aufwiesen, verwendet. Die Falschheit verbreitete sich deutlich weiter, schneller, tiefer und im weiteren Sinne als die Wahrheit in allen Kategorien von Informationen, und die Auswirkungen waren für falsche politische Nachrichten ausgeprägter als für falsche Nachrichten über Terrorismus, Naturkatastrophen, Wissenschaft, städtische Legenden oder Finanzinformationen. Wir fanden heraus, dass falsche Nachrichten eher neu waren als wahre Nachrichten, was darauf hindeutet, dass Menschen eher neue Informationen teilen. Während falsche Geschichten Angst, Ekel und Überraschung in Antworten weckten, weckten wahre Geschichten Vorfreude, Traurigkeit, Freude und Vertrauen. Entgegen der herkömmlichen Meinung beschleunigten Roboter die Verbreitung wahrer und falscher Nachrichten in der gleichen Geschwindigkeit, was bedeutet, dass sich falsche Nachrichten mehr verbreiten als die Wahrheit, weil Menschen, nicht Roboter, sie eher verbreiten.”

Falschinformationen bei Facebook

Sandra González-Bailón, David Lazer, Pablo Barberá, William Godel, Hunt Allcott, Taylor Brown, Adriana Crespo-Tenorio, Deen Freelon, Matthew Gentzkow, Andrew M. Guess, Shanto Iyengar, Young Mie Kim, Neil Malhotra, Devra Moehler, Brendan Nyhan, Jennifer Pan, Carlos Velasco Rivera, Jaime Settle, Emily Thorson, Rebekah Tromble, Arjun Wilkins, Magdalena Wojcieszak, Chad Kiewiet de Jonge, Annie Franco, Winter Mason, Natalie Jomini Stroud, Joshua A. Tucker: The Diffusion and Reach of (Mis)Information on Facebook During the U.S. 2020 Election. Sociological Science D11.12.2024
Abstract: “Social Media schafft die Möglichkeit für eine schnelle, virale Verbreitung von Inhalten, aber wie viele Posts erreichen tatsächlich Millionen? Und ist Fehlinformation darauf, wie es propagiert? Wir beantworten diese Fragen, indem wir die Viralität und das Kontakt mit Informationen auf Facebook während der USA analysieren. Präsidentschaftswahl 2020. Wir untersuchen die Diffusionsbäume der etwa 1 B-Posten, die vom 1. Juli 2020 bis zum 1. Februar 2021 mindestens einmal von Erwachsenen in den USA wieder geteilt wurden. Wir unterscheiden Fehlinformationen von Nicht-Fehlinformations-Beiträgen, um zu zeigen, dass (1) Fehlinformationen langsamer verbreitet wurden, wobei wir uns auf eine kleine Anzahl aktiver Benutzer stützten, die Fehlinformationen über lange Ketten der Peer-to-Peer-Diffusion verbreiteten, die Millionen erreichten; Nicht-Fehlinformationen verbreiteten sich in erster Linie durch One-zu-Viele-Hancen (hauptsächlich, Pages); (2) die relative Bedeutung von Peer-to-Peer-Difyion, die sich in erster Linie durch Einzel-zu-MedingEag-Medinge-Verbreitung verbreitete sich in erster Linie durch One-to-Viewre-ances (hauptesgle. Pages); (2) die relative Bedeutung von Verderbedung von Peer-to-Peerer-Difendentenden, die sich in Millionenhöhen auf Informationen verbreiten; Nicht-Fehlinformationen verbreiteten sich in erster Linie durch Einzel- und Gehaltsabstausmaßsverschwendung durch eine kleine Anzahl von aktiven Nutzern; (2) die relative Bedeutung von Peer-to-Peererationationen, die von MillionenRichtlinien, die darauf abzielen, hauptsächlich Pages und Gruppen anzusprechen; und (3) Perioden aggressiver Inhaltsmorationen in der Nähe der Wahl fallen mit dramatischen Einbrüchen in der Verbreitung und Reichweite von Fehlinformationen und (in geringerem Maße) politischen Inhalten zusammen.”

Fehleinschätzungen der Fake News

Sacha Altay, Manon Berriche, Alberto Acerbi: Misinformation on Misinformation: Conceptual and Methodological Challenges, Social Media und Society January-March 2023 vertreten in ihrem Überblick über den Forschungsstand, dass es sich bei der Fake News Diskussion um einen Fall von Moralpanik handelt. Dramatisierende Berichterstattung führt zu einer überzogenen Wahrnehmung von Bedrohung durch Fake News. In ihrem Abstracts fassen sie zusammen:
“Alarmistische Erzählungen über Online-Fehlinformationen gewinnen weiter an Boden, obwohl es Beweise dafür gibt, dass ihre Verbreitung und Auswirkungen überbewertet werden. Auf der Grundlage von Untersuchungen zur Nutzung von Big Data in der Sozialwissenschaft und in der Rezeptionsforschung identifizieren wir sechs Fehleinschätzungen über Fehlinformationen und zeigen die konzeptionellen und methodischen Herausforderungen auf, die sie aufwerfen.

Die erste Gruppe von Fehleinschätzungen betrifft die Verbreitung und den Umlauf von Fehlinformationen.
Erstens: Wissenschaftler konzentrieren sich auf soziale Medien, weil dies aber Fehlinformationen sind nicht nur ein Problem der sozialen Medien.
Zweitens: Das Internet ist nicht voll von Fehlinformationen oder Nachrichten, sondern mit Memes und unterhaltsamen Inhalten.
Drittens: Unwahrheiten verbreiten sich nicht schneller als die Wahrheit; Wie wir (Fehlinformationen) definieren, beeinflusst unsere Ergebnisse und ihre praktischen Auswirkungen.

Die zweite Gruppe von Missverständnissen betrifft die Auswirkungen und den Empfang von Fehlinformationen.
Viertens: Die Menschen glauben nicht alles, was sie im Internet sehen: Der schiere Umfang des Engagements sollte nicht mit Glauben gleichgesetzt werden.
Fünftens sind die Menschen eher uninformiert als Erhebungen überschätzen Fehleinschätzungen und sagen wenig über den kausalen Einfluss von Fehlinformationen aus.
Sechstens, Der Einfluss von Fehlinformationen auf das Verhalten der Menschen wird überbewertet, da Fehlinformationen oft “für den Chor predigen”. Um Fehlinformationen zu verstehen und zu bekämpfen, muss sich die künftige Forschung mit diesen Herausforderungen befassen.”

Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)

Faktencheck-Datenbank

Im Vorfeld der Europawahl ist eine EU-weite Faktencheck Datenbank aufgesetzt worden: Election24 Check.
“The first of its kind database that gathers and categorises fact-checked information for European countries and citizens ahead of the 2024 European Elections. It has been created in collaboration between over 40 European fact-checking organisations and the European Fact-Checking Standards Network, supported by the Google News Initiative. In the database, you will find political fact-checks, disinformation debunks, prebunking articles and narrative reports on transcontinental trends detected with the help of the database.”

Desinformation auf TikTok

Hilfe gegen Desinformation auf TikTok – wie Jugendliche bei der Erkennung von Falschinformationen auf Videoplattformen unterstützt werden können.
“Ein Forschungsteam der Technischen Universität Darmstadt hat erstmals untersucht, wie man Jugendliche auf der Kurzvideoplattform TikTok bei der Erkennung von Desinformation unterstützen kann. Ergebnis: Die Jugendlichen akzeptieren Warnhinweise besonders gut, wenn diese nachvollziehbar begründet werden. Anzeichen für Desinformation auf einer Videoplattform lassen sich zum Beispiel in Kommentaren oder bei den Urheber-Informationen finden, und auch emotionalisierende Musik, Mimik und Gestik können ein Hinweis auf Desinformation sein.

Katrin Hartwig, Tom Biselli, Franziska Schneider, Christian Reuter (2024): From Adolescents‘ Eyes: Assessing an Indicator-Based Intervention to Combat Misinformation on TikTok. Proceedings of the 2024 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems .

Tiktok Radikalisierung

Die Bildungsstätte Anne Frank fasst in ihrem Report #Nahostkonflikt die Beobachtungen relevanter Plattformen aus den ersten drei Monaten nach dem Terroranschlag in einer ad-hoc-Analyse zusammen.
Deborah Schnabel, Eva Berendsen: Die TikTok-Intifada – Der 7. Oktober & die Folgen im Netz. Analyse & Empfehlungen der Bildungsstätte Anne Frank, Bildungsstätte Anne Frank 2024
Zunächst wird Tiktok als Massenmedium vorgestellt. Die antisemitische Radikalisierung auf Tiktok seit dem 7. Oktober wird beschrieben. Die Hermeneutik des aktuellen Antisemitismus – Mainstreaming, Manichäismus, Dehumanisierung, Progressivistische Maskerade wird analysiert.
Besonders wichtig ist dabei die soziologische Analyse der Dialektik von Herrschaft, Manipulation und Intimität:”Eine Generation junger Menschen, die sich ihr Weltbild aus Videoschnipseln und Fetzen von Demagogie zusammengesetzt hat, wird bald in die Gesellschaft nachrücken, Einfluss nehmen, durch Wahlen und Abstimmungen Entscheidungen treffen. Eine Welle, auf die die Gesellschaft schlichtweg nicht vorbereitet ist. Die schon geschilderte „Intimität” macht die Plattform dabei nahezu unangreifbar für Kritik. TikTok ist auf mehrere Weisen intim: Die For-you-Seite vermittelt das Gefühl, verstanden zu werden und unter einer großen Zahl von Gleichgesinnten zu sein, die die wahre Natur der Dinge durchschaut haben – im Gegensatz zu Lehrkräften, Eltern etc. Hier gibt das Medium allein schon technisch, durch seine Anschmiegsamkeit an jugendliche Cocooning-Bedürfnisse und noch unabhängig von allen Inhalten den Takt vor. Gleichzeitig ist das öffentliche Sprechen über die Plattform sozial noch stark tabuisiert. Wer etwas auf TikTok sagt, hat es nicht in der „wirklichen Welt” gesagt – zu der gelegentlich immerhin Twitter und YouTube schon gehören. Politiker*innen, Journalist*innen, aber auch Pädagog*innen bewerten Videos nicht, kritisieren nicht. So entziehen sich Influencer*innen der Öffentlichkeit, werden niemals mit den Konsequenzen ihrer Radikalisierungsnarrative konfrontiert. Der Gegenwind, den sie verspüren, ist auf die Plattform selbst begrenzt – und bleibt daher selbst intim. Während das Medium das Weltwissen einer ganzen Generation prägt, wird es öffentlich verhandelt wie ein beliebiges Handyspiel.”

Siehe dazu auch: Vera Schroeder: Warum radikalisieren sich junge Menschen über Tiktok so schnell?, Süddeutsche Zeitung 08.02.2024 (hinter der Bezahlschranke)

Fakeschleuder Suchmaschine

Können Suchmaschinen im Gegensatz zu sozialen Medien dazu beitragen, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu überprüfen? Kevin Aslett, Zeve Sanderson, William Godel, Nathaniel Persily, Jonathan Nagler, Joashua A. Tucker: Online searches to evaluate misinformation can increase its perceived veracity, Nature 20.12.2023 haben dies in fünf Experimenten mit tausenden Teilnehmern anhand der Themen Corona-Pandemie, Trump und Klimawandel untersucht. “Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diejenigen, die online suchen, um Fehlinformationen zu bewerten, Gefahr laufen, in Datenlücken oder Informationsräume zu geraten, in denen es bestätigende Beweise aus minderwertigen Quellen gibt. Wir finden auch konsistente Beweise dafür, dass die Suche im Internet zur Bewertung von Nachrichten den Glauben an wahre Nachrichten aus minderwertigen Quellen steigert, aber widersprüchliche Beweise dafür, dass sie den Glauben an wahre Nachrichten aus Mainstream-Quellen steigert.” Bei den Nutzern der Suchmaschinen war die Wahrscheinlichkeit, Falschinformationen zu glauben, um 19 Prozent gegenüber anderen Internet-Nutzern erhöht.

Fake News und Komplottismus

Oliver Geyer: Philosophin Donatella Di Cesare über Komplottisten: „Viele fühlen sich ausgenutzt, übergangen und betrogen“. Hier Vernunft und Wahrheit, dort Pathologie und Verirrung? Wer Verschwörungstheoretiker stigmatisiere, mache es sich zu einfach, sagt die italienische Professorin Donatella Di Cesare, in: Tagesspiegel 31.05.2023 (hinter der Bezahlschranke). Di Cesare wendet sich gegen die Vorstellung eines Komplotts als Irrationalität, will somit die Spaltung zwischen Irrationalität auf der einen und Vernunft und Wahrheit auf der anderen Seite überwinden. Als politisches Phänomen verweist es auf eine immer anonymer werdende Macht, der man sich mit dem Verdacht, ausgenutzt, übergangen und betrogen zu werden, gegenübersteht. “Darum fühlen sich die Leute desorientiert und sehen keinen Fortschritt mehr. Sie empfinden die Demokratie als Täuschung. Aus dieser Ohnmacht und Entpolitisierung entsteht ein Komplottismus, der ständig fragt, wer im Hintergrund die Fäden zieht und Vorstellungen von einem ‘Deep State’ und einer ‘Neuen Weltordnung entwickelt.” Die Dichotomie von wahr und verrückt pathologisiert das Phänomen. Der Komplottismus entzieht sich dieser Dichotomie. “Der Mythos besitzt eine eigenen assoziative Syntax und labyrinthische Kohärenz, in den er seine Botschaft überträgt und die auch das Versprechen eines roten Fadens darstellt. Er besitzt seine eigene, absolute Wahrheit, die jeder Widerlegung widersteht.” Der Ansatz einer kognitiven Umerziehung muss daher scheitern. Es bleibt als Lösung nur eine “hermeneutische Gemeinschaft“, die nicht ausschließt, die verstärkten mythologischen Grundbedürfnisse erstnimmt, sich wissenschaftlichen Ergebnissen  nicht absolut alternativlos in Form von Expertenherrschaft unterwirft, sondern sie als politischen Gestaltungsraum ansieht. Das tiefe Ohnmachtsgefühl muss überwunden werden, das sich verbreitet hat und demokratische Prozesse behindert.

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