Das Web: Saugt es uns aus – oder saugt es uns auf?

Maurizio Ferraris Professor für theoretische Philosophie an der Universität Turin nähert sich den Fragen “Was ist das Web?” und “Worin besteht unsere Aufgabe im Netz?”, mit einem Aufsatz “Das Web: Saugt es uns aus – oder saugt es uns auf?” Neue Zürcher Zeitung vom 1.7.2018, indem er sechs Dilemmata skizziert. Dilemma “bezeichnet eine Situation, die zwei Möglichkeiten der Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen”

1. Virtuell oder real?

Das Web als Virtualisierung der Welt erschafft zugleich als produktives Medium soziale Wirklichkeit und somit real: “Es gibt nichts Realeres als das Web, und gerade daher rührt seine Macht.”

2. Kommunikation oder Aufzeichnung?

“Beim Web handelt es sich nicht um ein passives Kommunikationsmittel, sondern um ein aktives Aufzeichnungsinstrument, um ein Archiv und ein System, das in der Lage ist, soziale Wirklichkeit zu konstruieren sowie die individuelle und die kollektive Intentionalität zu mobilisieren.”

3.Konstruktion oder Emergenz?

Das Web ist nicht intentional konstruiert und auch keine kollektive Intelligenz, sondern aus dem Zusammenspiel der verschiedensten Elemente entstanden, “obskur und unberechenbar”.

4. Wissen oder Mobilisierung?

Das Web ist keine kollektive Intelligenz, sondern ein “Mobilisierungsmedium”, das uns ständig zum handeln auffordert. “Es hat mit einer wie auch immer gearteten Freiheit nichts zu tun. Es nährt im Gegenteil eine freiwillige Unterwerfung und generiert eine Mikrophysik der Macht, deren Grenzen noch nicht bekannt sind.” Das Web zeigt, “dass wir mobilisierte und unterworfene Tiere sind, bereit, auf Befehl zu handeln, ohne den Grund für unsere Handlungen zu verstehen.”

5. Entfremdung oder Offenbarung?

Das Web entfremdet den Menschen nicht, sondern zeigt seine wahre Natur: “Die Menschen offenbaren sich als Tiere, die der Technik bedürfen und stets bereit sind, eine imaginierte Freiheit gegen eine reale Sicherheit und einen realen Trost zu tauschen.”

6. Unterwerfung oder Emanzipation?

Das Web offenbart unsere Hilflosigkeit, kann aber auch Instrument der praktischen Vernunft sein, mit dem man Technik zu einem Neuanfang der Kultur, zur praktischen Vernunft einsetzt: “Es bezeichnet das, was durch die Freiheit möglich wird – eine Freiheit, die ihrerseits eine Technik ist, und zwar die schwierigste aller Techniken.”

Eine interessante Analyse insbesondere bezüglich der  Aufzeichnungs- und Unterwerfungsproblematik. Allerdings in der Schlussfolgerung selbst ein Dilemma: Aus der Unterwerfung soll der Neuanfang entspringen, aus der Hilflosigkeit das Instrument der praktischen Vernunft.