Die Religion der Herde: Facebook

Eduard Kaeser: Die Religion der Herde – Facebook, mit Nietzsche betrachtet, in: Neue Zürcher Zeitung 06.11.2018 analysiert Facebook mit Nietzsches Begrifflichkeit als „eine Religion im alten Sinne des Wortes «religio», des Zusammenkommens durch Rückbindung an Gott. Nur kennt Facebook keinen Gott. Oder vielmehr: Der Gott ist die Technologie, und die Religion bedeutet jetzt Vernetzen durch technische Mittel.“
Der phraseologische Überbau von Facebook spricht den „Herdeninstinkt in uns“, den Nietzsche am Christentum schon analysiert hat, an und beutet ihn aus. „Er sah in dieser Herdenbildung die Abwehr einer nihilistischen Heimsuchung – des deprimierenden Gefühls, niemand, nichts zu sein.“
Der Schwächeinstinkt als Gefühl des Ausgeliefertseins des isolierten Individuums gegenüber Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ist einerseits Flucht, andererseits Erhöhung: kollektive Erhöhung „um den Preis des Selbstverlustes„. Darüber hinaus machen sich weitere Ambivalenzen geltend: „In der Herde wird es zunehmend schwieriger, zwischen den Motiven des Individuums und den «Motiven» des Kollektivs zu unterscheiden. Ich-Identität und Kollektiv-Identität verwickeln sich unentwirrbar. Nietzsche war sich dieser Ambivalenz bewusst: «Mit der Moral wird der Einzelne angeleitet, Funktion der Herde zu sein und nur als Funktion sich Wert zuzuschreiben (. . .) Moralität ist Herdeninstinkt im Einzelnen.»“
Moralität, gelenkt und gebändigt durch Facebook-Priester, deren philantrophischer Gestus der Gemeinschaft den Datenhunger verdeckt, der die Daten der Nutzer zu ihrer Lenkung benutzt, dient unmittelbar der Herrschaft.
„Durch die Vernetzung wird der Gott der Technologie omnipräsent, omnipotent. Ein Leben ohne ihn erscheint immer undenkbarer.“ Die einzige Möglichkeit: das Undenkbare denkbar zu machen, die Herrschaftsfunktion dieser Technologie zu reflektieren.

Naturmetaphern verstellen die Sicht auf die Digitalisierung

Das Zeitalter der Digitalisierung zu verstehen, zwischen investigativem Journalismus und Fake News, erfundenen, gefälschten oder gelegentlich validen Daten, Story Telling und Lobby-PR, genialen Ideen und automatisierten Bots fällt schwer.
Adrian Lobe: In Twitter-Gewittern und Datenstürmen , in: Süddeutsche Zeitung 24.01.2019 schildert unter Rückgriff auf das Buch von Sue Thomas: Technobiophilia: Nature and Cyberspace, dass uns noch etwas ganz anderes in die Irre führt: „Naturmetaphern prägen die Art, wie in den Medien über Digitalisierung gesprochen wird. Das suggeriert, Daten wären eine unbeherrschbare Naturgewalt.“

Diese Naturmetaphern und Begrifflichkeiten aus der Biosphäre, „“Bug“ (Insekt), (Daten-)Wolken, (Computer-)Maus, Ströme, Schwärme, Viren, Würmer“ usw. interpretieren Erfahrungen und Entwicklungen im virtuellen Raum als aus der Natur abgeleitet, verfehlen somit dessen originären Eigenschaften und Eigengesetzlichkeiten. „Die nebulösen Rhetoriken von „Datenwolken“ und „Datenbergen“ suggerieren, es handele sich bei dem Phänomen Big Data um eine natürliche Topografie, eine urwüchsige Kraft, die in Gestalt einer gottgegebenen Ordnung daherkommt. Die Allmacht von Big Data wird mystifiziert, der Glaube an Zahlen, mit denen sich das irdische Dasein im Voraus berechnen lässt, trägt quasireligiöse Züge. Dabei ist es ja, um mit Ludwig Feuerbach zu sprechen, der Mensch und kein Automatismus, der diese Datenlandschaften als eine Art Imaginär erschafft.“
Als erstes müsste man also die Sprache reflektieren und, da Verständnis komplexer Phänomen nicht ohne Visualisierung erfolgen kann, eine adäquate Metaphorik erarbeiten.

Zur Psychopathologie des logischen UND

Seit Sigmund Freuds Psychopathologie des Alltagslebens sind alltägliche Fehlhandlungen Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtungen geworden. Machen sich in diesen Fehlhandlungen – wie er meinte – psychische Symptome des Unbewussten geltend oder handelt es sich um kognitive Störungen von Parallelhandlungen und -gedanken oder um linguistische Montagefehler im Zustand bestimmter Affektzustände? Trifft eine der letzteren Erklärungen zu, können wir Psychopathologie in diesem Zusammenhang nur als Metapher, nicht als klinische Diagnostik gebrauchen. Aber als zugespitzte Metapher kann sie durchaus hilfreich sein, wie auch in dem klassischen Design-Buch von Don Norman „The design of everyday things“ . In dem einleitenden Kapitel „The psychopathology of everyday things“ beschreibt er, wie Gegenstände sich durch mangelhaftes Design ihrer Nutzung zu entziehen drohen.

„Die Konjunktion „und“ wurde kaum denkpsychologisch untersucht“, betont Markus Knauff in seinem Beitrag „Deduktion, logisches Denken“ von 2005. Schon in der normalen Sprache zeigen sich Unterschiede zwischen der logischen Bedeutung und dem wahrgenommenen Bedeutungsgehalt einer Konjunktion. „So sind beispielsweise die beiden folgenden Sätze logisch äquivalent: Das Kind fiel vom Fahrrad und die Mutter schrie. Die Mutter schrie und das Kind fiel vom Fahrrad. Auch im alltäglichen Gebrauch sind diese konditionalen Aussagen nur wahr, wenn beide atomaren Aussagen wahr sind. Gleichwohl wird das „und“ in beiden Sätzen vollkommen anders gelesen. Oft impliziert es ein „deshalb“ „dann“ usw. ohne das dies in der logischen Form vorgesehen ist.“

Noch komplexer ist es in der Welt des Information Retrieval: Die logischen Operatoren UND und ODER haben den gleichen Wortlaut wie die natürlichsprachlichen Konjunktionen, aber die entgegengesetzte Bedeutung. Das NICHT hat den gleichen Wortlaut und die gleiche Bedeutung wie der natürlichsprachliche Negationspartikel, wie dies auch gute Einführungen in das Information Retrieval erläutern.

Das Nichts nichtet. Ein Glück, dass die meisten Suchenden davon gar nichts ahnen. Diese unsympathische Eigenschaft des Nichts führt dazu, dass wir uns auch bei der Recherche vom NICHT-Operator fernhalten. Darüber hinaus der Denkweise des Retrieval: Könnte in der ausgeschlossenen Exklusionsmenge nicht doch der versteckte Diamant lauern?

Die Synomyme der Suchmaschinen ermöglichen uns einen – wenn auch nur bescheidenen und unsystematischen – Einblick in das Feld der verfügbaren Wortungetüme. Auf dieses eingegrenzte Füllhorn der geODERten Vereinigungsmenge ruhen Gewissheit und Hoffnung.

Dann werden in den Suchschlitz mehrere Wörter eingegeben. Ein Ergebnis erscheint, vielleicht auf der ersten Seite, dann mit Freude wahrgenommen, vielleicht auf eine der hinteren Seiten, dann schon nicht mehr existent.

Das Ergebnis zeigt die Fähigkeit des Suchenden. Dass die Person „googeln“ kann, dass sie nicht eine Recherchestrategie entwickeln muss oder sich gar nicht weitere Fähigkeiten der Recherche aneignen muss oder von Experten helfen lassen sollte, scheint klar. Die Person ruht in ihrem Ergebnis und ihren Fähigkeiten. Dass die Suchergebnisse mittels Suchhistorie, Cookies auf sie personalisiert worden ist, ist ihr nicht bekannt. Sie reflektiert nicht die Genese und die Beschränkungen der Ergebnisse, die erst schrittweise zu optimieren wäre. Es scheint allein ihre Kompetenz zu sein.

Durch mangelhaftes Design entziehen sich Gegenstände ihrer Nutzung. Durch kognitive Verzerrung, dass das Resultat allein der Fähigkeit der suchenden Person eignet,  entzieht sich die Suche einem professionellen Information Retrieval, das der Manipulation der Suchmaschinen standhalten könnte.

Datenlobbyismus

Deutsche zahlen ganz gern Steuern

„Uno-Untersuchung. Deutsche zahlen ganz gern Steuern. Viele Bürger klagen oft über hohe Abgaben. Eine von der Uno veröffentlichte Untersuchung kommt aber zu dem Schluss: Die Akzeptanz des Steuersystems ist in Deutschland hoch – verglichen mit anderen Ländern„, so ein Artikel in Spiegel Online vom 03.01.2019.

Diese Meldung ging als Teil des automatisierten Nachrichten-Feeds der Deutschen Presse-Agentur (dpa) durch über 170 deutsche Medien. Lediglich ein Tageszeitungs– und ein Blog-Artikel setzten sich kritisch mit der Meldung auseinander. Das Problem: nichts daran stimmt. (mehr …)

Der digitale Mensch als Kadaver

Es ist eine geläufige Annahme, dass die Internet-Nutzer ihre Daten gegen den Zugang zu Informationen tauschen, also ein fairer Tausch stattfinde. Dieser Tausch ist allerdings nur Schein, bloße Form, die den eigentlichen zugrundeliegenden Vorgang verdeckt und ihn mystifiziert.
Der digitale Mensch ist in dem Prozess seiner Aneignung durch den Überwachungskapitalismus nicht mehr Produkt, sondern nur noch ein „zurückgelassener Kadaver“. Dies meint Shoshana Zuboff, emeritierte Professorin der Harvard Business School und Autorin des Buchs „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“. „Wir sind nicht das Produkt, sondern vielmehr die Quelle, das frei zugängliche Rohmaterial. Das wird wiederum zu Produkten verarbeitet, die den Interessen derer dienen, die von unserem zukünftigen Verhalten profitieren.“
Unsere menschliche Erfahrung wird auf optimierte Verhaltensprognosen reduziert, wird zum Handelsgut, das in Produkte umgewandelt und letztlich auch manipuliert wird.

Der Überwachungskapitalismus sei eine „Mutation des modernen Kapitalismus“, eine „parasitäre Entwicklung“, die alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. „Er geht davon aus, dass die private menschliche Erfahrung frei zugängliches Rohmaterial für die kapitalistische Produktion und den Warenaustausch ist. Zweitens kombiniert er digitale Technologien mit Strategien heimlicher Überwachung, um Verhaltensdaten aus allen menschlichen Erfahrungen zu extrahieren. Drittens nutzt er Maschinenintelligenz, um Verhaltensdaten in Verhaltensprognosen umzuwandeln – ich nenne sie „Vorhersageprodukte“. Diese Produkte werden dann an die neuen Märkte verkauft, die ausschließlich mit Prognosen über unser zukünftiges Verhalten handeln.“
Mit „historisch unvorstellbaren Wissensasymmetrien“ werde in gesellschaftliche Prozesse eingegriffen und diese demokratischer Kontrolle entzogen. Die einzige Möglichkeit, die sie sieht, “ ist, die spezifischen Mechanismen des Überwachungskapitalismus, die diese Datenkonzentrationen produzieren, zu unterbrechen oder auch zu verbieten.“


Mirjam Hauck: „Überwachungskapitalisten wissen alles über uns“. Die großen Datenkonzerne beuten ihre Nutzer aus, sagt die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff. Sie erklärt, warum es so schwer ist, sich dem Überwachungskapitalismus zu entziehen.in: Süddeutsche Zeitung 7.11.2018

„Überwachungskapitalismus“ steuert das Verhalten. Shoshana Zuboff im Gespräch mit Marcus Richter und Vera Linß in: Deutschlandfunk Kultur 20.10.2018

Forum Privatheit 2018: Shoshana Zuboff keynote speech on surveillance capitalism, Youtube Video

Shoshana Zuboff: Wie wir Googles Sklaven wurden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.03.2016

Sechs Digitalisierungsmythen

„Welche sozialen und politischen Konsequenzen haben automatisierte Entscheidungen von Computern? Wie beeinflussen sie unser alltägliches Leben? Und was passiert, wenn Maschinen diskriminieren? Diskutiert man über die Digitalisierung, geht es immer auch um diese Fragen.“ Diese Fragen stellt Jürgen Geuter: Nein, Ethik kann man nicht programmieren. Ethik kann man in Code festschreiben und künstliche Intelligenz ist in 20 Jahren besser als der Mensch? Nein. Sechs Digitalisierungsmythen, über die wir reden müssen, in: ZEIT Online vom 27.11.2018:
Irrtum 1: Die Anwendung von Ethik kann man in Computerprogrammen formulieren
Ethische Entscheidungsprozesse sind komplexe soziale und psychologische Vorgänge, die trotz identischer ethischer Regeln je nach sozialem, politischem, religiösem oder kulturellem Hintergrund zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können und deshalb im Diskurs ausgehandelt werden und nicht automatisiert werden können.
Irrtum 2: Daten erzeugen Wahrheit, und falls nicht, braucht man einfach mehr Daten
Daten selbst sind nicht neutral, sondern mit impliziten Annahmen befrachtet, die sichtbar, analysierbar und zu bewerten sind. (Ich füge hinzu: Seitdem ich diesen Blog betreibe, stoße ich laufend auf Daten, die bewusst verfälscht oder sogar einfach erfunden und anschließend erfolgreich in den öffentlichen medialen Diskurs eingebracht werden.)
Irrtum 3: In 20 Jahren gibt es eine künstliche Intelligenz, die genauso gut wie oder besser ist als menschliche
„…heute populäre Technologien wie etwa neuronale Netze sind weit entfernt von allem, was wir Intelligenz nennen würden. Sie sind Systeme automatisierter Statistikanwendung, die auf extrem spezielle Anwendungsfälle trainiert wurden und auseinanderfallen, sobald die Eingabe den engen Korridor der ihnen bekannten Daten verlässt…Letztlich existiert künstliche Intelligenz nicht. Und sie ist auch nicht nah. Es existieren leistungsfähige Statistiksysteme, denen durch einen attraktiven Namen eine gewisse Magie zugesprochen werden soll. „Künstliche Intelligenz“ ist nur ein Werbebegriff.“
Irrtum 4: Diskriminierung durch Algorithmen ist schlimmer als Diskriminierung durch Menschen
Die scheinbar neutralen Entscheidungen der Computer zementieren nur die schon vorhandenen Diskriminierungsstrukturen: „Während der Entwicklung dieser Systeme automatisieren Personen bestehende, tief in organisatorische Prozesse integrierte Formen der Diskriminierung und strukturellen Gewalt.“
Irrtum 5: Gesetze und Verträge können in Code ausgedrückt werden, um ihre Anwendung zu standardisieren
Gesetze und Verträge können nur in Standardsituationen erfolgreich in Programmcode ausgedrückt werden. Zum Teil muss aber eine Situation neu interpretiert und das Recht neu ausgelegt werden.
Irrtum 6: Digitale Freiheit drückt sich in der vollständigen Autonomie des Individuums aus
Die Gleichsetzung von Open Source Software mit Freiheit setzt ein privilegiertes digital autonomes und kompetentes, aber gleichzeitig darauf reduziertes Individuum voraus. „Wenn das Internet als ein Werkzeug der Freiheit wirken soll, dann kann ein digitaler Freiheitsbegriff sich nicht in isolationistischen Individualismus flüchten.“
Der Autor schließt: „Genauso wie die Digitalisierung versucht, die Welt der Software zugänglich zu machen, muss jetzt die Sozialisierung des Digitalen vorangetrieben werden: die Gestaltung auch unseres digitalen Lebens als kommunikatives, humanes Netzwerk zum Wohle der Menschen.“

Bundesgesetzblatt als Open Source

https://offenegesetze.de

Christian Endt: Aktivisten stellen alle Bundesgesetzblätter ins Netz, Süddeutsche Zeitung 10.12.2018

Jedes Gesetz enthält eine zweifache Fiktion. Einmal entwirft es einen denkbaren Zustand, der sprachlich benannt, aber erst durch die Androhung und den realen Vollzug von Sanktionen durchgesetzt werden muss. Zum anderen enthält die Verkündung des Gesetzes die Fiktion, dass damit das Gesetz dem Bürger schon bekannt geworden ist. Diese Fiktion wird juristisch aber „unwiderlegliche Vermutung“ genannt und statt der tatsächlichen Kenntnisnahme reicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme aus. Ansonsten könnte Recht als selbstreferentielles System gar nicht funktionieren. Es ist die Grundlage der Geltung des Gesetzes, an das sich der Bürger im Anschluss an die Verkündung zu halten hat.

Umso absurder ist es, wenn man die Verkündungsblätter – wie beim Bundesgesetzblatt und auch bei einigen Gesetz- und Verordnungsblättern der Länder geschehen – hinter einer Bezahlschranke versteckt. Dabei heißt „verstecken“ auch, wenn man lediglich eine „Nur-Lese-Version“ anbietet, die nicht ausgedruckt werden kann. Man könnte sogar die Frage stellen, ob damit eine ordnungsgemäße Verkündung erfolgt ist.
(mehr …)

Daten als Menetekel 7: Mehr als ein Viertel der Tweets zum Migrationspakt Social Bots?

Am 10.12.2018 ist der WELT ein Artikel von Jan Lindenau: Roboter mobilisieren gegen Migrationspakt (hinter der Bezahlschranke) erschienen. Danach hat die Firma Botswatch eine Analyse von 800.000 Tweets zwischen dem 24. November und dem 2. Dezember ausgewertet. Als Ergebnis gibt sie bekannt, dass über ein Viertel dieser Tweets Social Bots gewesen seien, die inhaltlich Stimmung gegen den Migrationspakt gemacht hätten. Diese Meldung wurde in der gesamten deutschen Presse verbreitet.

Allerdings wurde die Analyse selbst und die Methodik, die als Geschäftsgeheimnis proklamiert wird, nicht offengelegt. Dies und die nicht nachvollziehbaren Ergebnisse stießen auf erhebliche Kritik von Experten. Der Social-Media Analyst Luca Hammer hat auf Twitter die Aussagen einer Kritik unterzogen. Er stellt bei einer Stichprobe fest, dass der Anteil der Bots – darunter allerdings auch automatisierte Informationsbots der Presse  – bei etwa 6 Prozent liegt. Der Datenjournalist Michael Kreil hat einen offenen Brief an Botswatch geschrieben:

„Wir brauchen dringend wissenschaftliche basierte, methodisch korrekte Analysen dieser Vorgänge! Was wir nicht brauchen, sind Akteur_innen, die mit unbewiesenen Behauptungen den Diskurs entführen, Panik und Verunsicherung verbreiten, und die Bundesregierung unzureichend beraten. Für mich ist es momentan nicht unterscheidbar, welche Position Sie mit botswatch einnehmen möchten. Daher bitte ich Sie, Frau Wilke, geben Sie die Methoden und Daten Ihrer Untersuchung „Social Bots und Migrationspakt“ für eine unabhängige, wissenschaftliche Überprüfung frei.“

Der Verlauf der Diskussion wird in den Artikeln von Robert Tusch: Kritik an Botswatch: Warum die Debatte um die Social Bot-Studie zum Migrationspakt für Medien wichtig ist, in: Meedia vom 12.12.2018 sowie von Markus Reuter: Ein Bot allein macht keine Revolte. Und auch keine Migrationsdebatte, in: netzpolitik.org vom 10.12.2018 wiedergegeben. Dort wird auch auf die methodischen Probleme bei der Erkennung von Bots und andere Formen von Accounts eingegangen, die für die politische Einflussnahme im Netz wichtiger sind. „Alleine angesichts der Einflussmöglichkeiten menschlich betriebener Accounts, ist es schlichtweg unseriös und unterkomplex soziale Bewegungen oder hart umkämpfte gesellschaftliche Diskurse mit Bots erklären zu wollen.“

Jonas Hermann: Haben Bots die Debatte um den Migrationspakt einseitig beeinflusst?, Neue Zürcher Zeitung vom 13.12.2018    fasst noch einmal die Kritik und die Diskussion zusammen. Er weist auf die engen personellen Verbindungen von Botswatch zur CDU hin.

„Die Bot-Analyse wurde am Tag der Verabschiedung des Migrationspakts publik. Das mag Zufall sein oder auch nicht. Sicher ist jedenfalls, dass sie herangezogen werden kann, um Kritiker des Paktes zu diskreditieren und die Debatte darüber als aufgeblasen und fremdgesteuert darzustellen.“

Somit kann es sein, dass nicht Social Bots, sondern frei erfundene Daten über Social Bots den politischen Diskurs beeinflussen sollten.

Daten als Menetekel 6: Stickstoffdioxid-Grenzwert erfunden

Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale), hat in der ZEIT vom 08.11.2018 – online hinter der Bezahlschranke  – einen Artikel verfasst „Hysterie ums Falsche. der Grenzwert 40 Mikrogramm für das Auspuffgas ist aus der Luft gegriffen.“ Als Faksimile noch zu lesen auf http://www.gegenwind-saarland.de/Klimawandel/181108-ZEIT—Hysterie-um-NO2.mrkd.pdf . Eine verkürzte Fassung ist im Tagesspiegel  vom 10.11.2018 erschienen, allerdings nicht mehr auf der Online-Seite des TAGESSPIEGEL vorhanden, sondern nur noch über PPRESSREADER. https://www.pressreader.com/germany/der-tagesspiegel/20181110/281715500636547

Danach beschloss die EU 1993, langfristige Luftqualitätsziele, u.a. einen strengen Grenzwert für NO festzulegen. Die Legitimation eines solchen Wertes musste  auf Arbeiten der Weltgesundheitsorganisation WHO beruhen. Um den damals gültigen WHO-Richtwert von 150 Mikrogramm zu reduzieren, wurde dort eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich einer Metaanalyse aus einem fünf Jahr älteren Bericht der US-Umweltbehörde bediente. Laut Kekulé wertete die Metaanalyse verschiedene Forschungsarbeiten aus, deren Parameter aber völlig unterschiedlich waren. Trotz dieser völlig unterschiedlicher Einflussfaktoren wurde als Ergebnis festgehalten, „dass Atemwegserkrankungen in Haushalten mit Gasherd um 20 Prozent häufiger sind als in Haushalten mit Elektroherd“. Allerdings konnten daraus keine Messwerte abgeleitet werden, da in Haushalten mit Gasherd sehr unterschiedliche Konzentrationen (8 – 2500 Mikrogramm) festgestellt wurden. „Mangels brauchbarer Daten schätzten die Gutachter kurzerhand, dass ein Gasherd die mittlere jährliche NO-Konzentration im Haushalt auf ungefähr 40 Mikrogramm erhöht, und schlugen diese Größe als Richtwert vor. Bis heute gibt es keinen Beleg dafür, dass die Zahl irgendetwas mit den gesundheitlichen Auswirkungen von NO zu tun hätte.“ Ohne dies zu überprüfen, übernahm die EU diesen Wert als gesetzlichen Grenzwert. „Bis heute gibt es keine belastbaren Daten, die den 40 Mikrogramm-Grenzwert stützen.

Der Stickstoffdioxid- Grenzwert ist somit schlichtweg erfunden worden.

Nachtrag:
Sebastian Viehmann: „Das ist Volksverdummung“. Das Diesel-Desaster: Neue Dokumentation zeigt Irrsinn von Fahrverboten, in: Focus Online 09.01.2019
Das Diesel Desaster ARD 07.01.2019 Verfügbar bis 07.01.2020

Sind statistische Daten Fakten?

In einem Artikel vom 02.11.2018 der Neuen Zürcher Zeitung schildert der Artikel „Das Bundesamt für Statistik schafft die Fakten für die Schweizer Demokratie. Dann macht es einen Fehler“   , wie statistische Daten offiziell verändert wurden:

„Die Statistik zur Ausschaffung von kriminellen Ausländern zeigte, dass der Staat angeblich nur 54 Prozent von ihnen ausgeschafft hatte ­– die Zahl suggerierte, dass die anderen als Härtefalle eingestuft und deshalb nicht des Landes verwiesen worden waren. Das Thema ist brisant, bisher liess sich der Effekt der Ausschaffungsinitiative nicht in Zahlen fassen. Nach der ersten Entrüstung rechnete das BfS neu: 69 Prozent. Dann löschte es die Statistik ganz von der Website.“

Sind Daten komplex, so dass sie einer Komplexitätsreduktion bedürfen, um verständlich zu sein? Sind statistische Daten Fakten oder sind sie Interpretationen? Auf welche Interpretationen einigt man sich oder sind die Interpretationen Fake-News?

„«Natürlich ist Statistik hochpolitisch», sagt Ulrich. Denn was gemessen wird und wie, ist politisch, wen man fragt und welche Fragen man stellt. «Es gibt keine Wahrheit, man kann sich nur einig sein, was man messen will.» Wie hoch ist die Armut? Die Bildung? Das Bruttoinlandprodukt? Mit den Indikatoren macht man Politik, weil man sich auf sie geeinigt hat. «Aber am Ende sucht sich in der Statistik jeder seine eigene Wahrheit, das war schon immer so», sagt Ulrich.“

„Die zurückgezogenen Ausschaffungszahlen des BfS zeigen, dass man sich immer wieder neu einigen muss, was die Fakten sind und wie sie geschaffen werden. Die Fake-News-Rufe aber haben einen Zweifel gesät: daran, dass es so etwas gibt wie Fakten, dass es überhaupt etwas gibt, worauf man sich geeinigt hat in diesem Land.“

Buchseite 38 von 41
1 36 37 38 39 40 41